„Individualisten werden durch die deutsche Ausbildung beschnitten“

Matthias Hamann, manch einem noch bekannt aus seiner Bundesligazeit in den 90er Jahren, gehört mittlerweile zum Team von Jürgen Klinsmann bei der Nationalmannschaft der US-Boys. Dort ist er nicht nur Co-Trainer der U23 (an der Seite eines anderen alten Bekannten, Andi Herzog), sondern kümmert sich auch um das Scouting in Europa und nimmt Chef Klinsi somit das Vielfliegen ab. Wir haben den sympathischen Oberpfälzer getroffen und über seine Arbeit, den amerikanischen Fußball, die Konkurrenz von Football, Basketball & Co. und erfolgreiche Jugendarbeit ausgequetscht.

Alles im Blick: Matthias Hamann ist nicht nur Scout, sondern auch Co-Trainer bei den US-Boys.

Herr Hamann, wie sind Sie zu den US-Boys gekommen und was sind Ihre Hauptaufgaben beim amerikanischen Fußballverband? Wie läuft die Zusammenarbeit mit Jürgen Klinsmann ab?

„Angefangen hat die Zusammenarbeit 2011, kurz nachdem der Jürgen als Nationaltrainer bei der US-Nationalmannschaft ernannt wurde. Die ersten 12 Monate haben wir uns darauf beschränkt, unsere eigenen Spieler zu scouten; also alle Spieler, die für die Nationalmannschaft infrage kamen und damals in Europa gespielt haben. Überwiegend waren das Spieler aus der Premier League und der Bundesliga.

Einige wenige waren auch in Frankreich, Holland und Norwegen aktiv. Ich bin dann vor den Camps immer hin und her geflogen und habe mir die Spieler angesehen, die für unsere Camps infrage kamen. Außerdem habe ich in den ersten Monaten auch die Gegnervorbereitung für Spiele der US-Nationalmannschaft in Europa gemacht. Dazu gehörten Videoanalysen der Mannschaften und Spieler aber auch Gespräche mit und die Präsentation für unsere Spieler, als sie dann hier waren. Mittlerweile gibt es aber auch schon Spieler aus der U23, die ich zusammen mit Andi Herzog als Co-Trainer betreue, der U20, U18, und U17, die in Europa spielen. Das heißt, wir schauen immer nach unseren eigenen Spielern aus allen Altersgruppen, aber wir wollen auch neue Spieler akquirieren, also Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft. Ihnen erklären wir dann, was sie bei uns erwartet, wie ihr Weg im amerikanischen Fußball aussehen könnte und lassen sie einfach wissen, dass wir für sie da sind und sie gerne kennenlernen möchten. Oder wir laden sie einfach mal zu einem unserer Camps ein.“

Funktioniert das gut? Wie hoch ist denn die Erfolgsquote bei Spielern mit doppelter Staatsbürgerschaft?

„Wer mal bei uns war, ist eigentlich meistens begeistert. Jürgen pflegt einen sehr offenen, lockeren und kommunikativen Umgang. Da gibt es keine Sitzordnungen, strenge Regeln oder solche Geschichten. Das geht alles sehr offen zu. Auch Input und Persönlichkeit sind gefragt und der tägliche Ablauf ist sehr locker. Die Spieler dürfen auch mal ihr Handy benutzen, Kopfhörer tragen und beim Frühstück einen lockeren Plausch mit den Coaches führen. Wir machen uns da keinen Stress. Ob einer jetzt zwei Minuten früher oder später kommt, weil er noch beim Physio war, ist uns dann nicht so wichtig. Das wäre nur unnötige Energieverschwendung. Meistens gibt es das Essen sowieso als Buffet, deswegen ist das auch kein Problem. Also wer mal bei uns war, will eigentlich selten wieder weg.“

Jürgen Klinsmann hätte am liebsten elf Kapitäne in der Mannschaft

Aber dazu muss man ja zuerst einmal reinkommen. Worauf achten Sie, wenn Sie neue Spieler in ein Camp einladen? Wie kann man es in Ihr Team schaffen?

„Also Camp heißt bei uns einfach, dass wir uns als Mannschaft treffen. Meistens ist das an den FIFA-Dates, die sind also festgelegt. Bei der A-Nationalmannschaft sind dann eigentlich nur Spieler im Camp, die auch spielen können. Da ist keiner dabei, den wir uns erst einmal ansehen wollen, das ist schon vorher passiert. Dann schauen wir uns an, wie er sich im Kreise der Nationalmannschaft bewegt, wie er seine Fähigkeiten bei uns einbringt, wie er sich zwischenmenschlich und sozial einfügt und solche Geschichten. Das kann natürlich auch mal positionsabhängig sein, wenn wir für eine Position eine Alternative suchen. Oft drängen sich Spieler aber auch dadurch auf, dass sie Führungsspieler im Verein sind. Das ist eine Qualität, die wir sehr gerne sehen. Der Jürgen sagt immer, er hätte am liebsten zehn oder elf Kapitäne in der Mannschaft. Die haben einfach ein gewisses Auftreten und eine Persönlichkeit und genau das brauchen wir. Also das sind so die unterschiedlichen Ansätze.“

Gibt es große Unterschiede zwischen amerikanischen und deutschen Spielern bzw. der Spielphilosophie im Allgemeinen?

„Allzu groß sind die Unterschiede natürlich nicht. Das liegt in der Natur der Sache, Fußball ist überall gleich: grünes Feld, zwei Tore und 11 gegen 11.
Wo es allerdings große Unterschiede gibt, ist der Bereich Jugendausbildung und Akademien. Da sind wir bei weitem noch nicht so weit wie Deutschland. Da fehlt noch die Struktur, aber das ist in einem so großen Land auch gar nicht so einfach. Es fehlt einfach eine Anlaufstelle, wo man die Jungs „sammeln“ und scouten kann. Sollten wir das dezentral oder zentral machen? Wie können wir die Spieler, die vielleicht das Potenzial hätten, für uns zu spielen, überhaupt sehen und effektiv scouten? Das sind so die Fragen und Herausforderungen, die wir in den nächsten Jahren zu meistern haben.
Es gibt bereits 60 oder 70 vom Verband und der MLS anerkannte Akademien. Da brauchen wir eine entsprechende Coaching-Qualität. Einfach um den Jungs in den unteren Altersstufen schon die Technik unter Druck, im höchsten Tempo, auf engem Raum eben diese ganzen Standard-Geschichten, die im heutigen Spiel zum Anforderungsprofil gehören, zu vermitteln. Dafür brauchen wir eben die entsprechenden Trainer, die das mit den Jungs umsetzen können, damit sie weiter kommen. Allerdings sind wir in den USA noch nicht so lange in diesem Business unterwegs. Deswegen funktioniert das noch nicht zu 100%.“

Und wie sind die Strukturen außerhalb dieser Akademien. Gibt es noch weitere „Quellen“ für neue Spieler, z.B. Verbände oder Colleges?

„Im Prinzip funktioniert es nur über „Mund-zu-Mund-Propaganda“. Dazu müssen die Coaches untereinander vernetzt sein und Infos über gute Spieler weitergeben. Zum Schluss kennt dann irgendjemand den Nationaltrainer, den U18-Trainer oder wen auch immer und sagt: ’Ich hab’ da wen spielen sehen, schaut euch den mal an.“ Dann kann den jemand gezielt scouten und beobachten, um heruaszufinden, ob er ins Team passen würde. Ansonsten ist die Struktur einfach nicht gegeben. Diese Vereinsstruktur, wie wir sie aus Deutschland kennen, gibt es in Amerika nicht. Die Jungs werden zum Training gebracht, meistens zu Honorar-Coaches, die mit 20-25 Jungs aus ihrem Viertel trainieren. Die Eltern zahlen dafür 400-500 Dollar pro Monat und sie trainieren dann dreimal in der Woche. Die spielen dann gegen befreundete Coaches und gründen sozusagen ihre eigene Liga. Das ist alles selbst organisiert. Und da sieht man auch schon das Problem. Die Jungs bezahlen teilweise dafür, dass sie ausgebildet werden. Damit spricht man natürlich nur eine gewisse Klientel an. Viele können sich das gar nicht leisten. Deswegen ist ein Ziel, Strukturen zu schaffen, in denen die besten Jungs spielen und trainieren können, ohne etwas zu zahlen; das könnte beispielsweise entweder über den Verband oder Stipendien laufen.“

Apropos Stipendien: Ist die Konkurrenz mit den vier großen amerikanischen Sportarten, Basketball, Football, Eishockey und Baseball ein Problem? Da gibt es ja hervorragende Nachwuchsstrukturen. Muss sich da der Fußball hinten anstellen?

„Die „großen Sportarten“ haben auch alle Probleme. Letztes Jahr waren kurz vor der Fußball-WM die NBA-Playoffs. Wir hatten in unserer Send-off Series (die Spiele vor der WM, Anm. d. Red.) eine höhere Einschaltquote als die NBA-Finals.
Die NFL hat zur Zeit Probleme mit Regressforderungen. Da wird gerade eine riesige Sammelklage von ehemaligen Spielern vorbereitet, weil es vermehrt Fälle von Gehirnerschütterungen und Langzeitschäden gibt. Mittlerweile gibt es valide Studien, die aussagen, dass ein Spieler, der vor dem Alter von 16 mit Football angefangen hat und fünf bis zehn Jahre spielt, danach „dümmer“ ist als jemand, der nie Football gespielt hat. Das liegt einfach an den Tackles und Zusammenstößen. Und wie schnell so eine Klage in den USA, besonders in diesem Business, in die Multimilliarden gehen kann, weiß man ja. Ob sich die NFL davon erholen würde hingegen nicht. Deswegen lassen immer weniger Eltern ihre Kids Football spielen.
Baseball ist sehr lokal. Und man kann auch darüber streiten, ob es überhaupt ein Sport ist (lacht). Das ist allein von der Laufleistung ja nicht zu vergleichen mit unserem Sport.
Dann gibt es noch Eishockey, eine „Wintersportart“ mit ebenfalls sehr lokalen Fanbases. Das ist eher ortsbezogen und nicht sehr weit verbreitet.

Deswegen sehe ich da schon die Möglichkeit „reinzukommen“ und man sieht ja auch, dass der Fußball hier immer mehr wächst. Auch weil die Wirtschaft während der WM gemerkt hat, dass Fußball der einzige „globale“ Sport von diesen fünf ist.
NBA? Amerika! NFL? Amerika! Baseball und Eishockey? Amerika und vielleicht noch Kanada. Fußball ist einfach global. Das haben auch die Sponsoren erkannt und rennen uns mittlerweile die Tür ein. Deswegen müssen wir jetzt die Strukturen schaffen, um an die Talente zu kommen, Strukturen, mit denen wir sie fördern können, Strukturen, um die Coaches auszubilden, Strukturen, die dafür sorgen, dass die Jungs irgendwann oben bei uns ankommen. Das dauert noch ein paar Jahre, keine Frage. Aber jetzt müssen die Wege dafür bereitet werden.“

Nur wer das Team an erster Stelle sieht, hat eine Chance!

Wer kommt denn überhaupt oben an? Oder anders gefragt: Was macht die besten Spieler in einer Mannschaft aus? Haben sie einfach mehr Talent, tun sie mehr als die andern oder ist das Motivations- und Einstellungssache? Wie schafft man den Sprung vom „Durchschnittsspieler“ zum Top-Spieler?

„Wenn man einen Spieler bewerten will, kann man das ganz einfach machen: Talent multipliziert mit dem Willen ergibt den Spieler, der am Ende dabei rauskommt. Wenn einer also nicht so viel Talent hat, muss er das über seinen Willen und seine Einstellung kompensieren. Das heißt, er muss mehr tun, mehr arbeiten, um sich Sachen anzueignen. Spieler mit viel Talent, bei denen es an der Einstellung mangelt, werden genauso wenig durchkommen, wie Spieler die kein Talent haben und wenig arbeiten. Es ist immer die Kombination aus beidem. Wichtig bei einer Mannschaftssportart ist außerdem, dass ein Spieler das Team an erster Stelle sieht. Der Jürgen beschreibt das immer mit den Begriffen „Geber“ und „Nehmer“. Im Team musst Du ein Geber sein und kein Nehmer. Du musst unheimlich viel in das Team investieren, oder reingeben, dann kommt automatisch alles zurück. Nur wenn man gibt, kann man auch selber von der Gruppe profitieren. Wenn man von der Gruppe nur Energie zieht und „will“, wird man nicht weit kommen. Das ist wie im richtigen Leben auch. Um in der Mannschaft akzeptiert zu sein und auch Führungsrollen übernehmen zu können, muss man ein „Giver“ sein.

Letztens hat der Jürgen Steve Nash, einen der größten Basketballer aller Zeiten, eingeladen. Er hat darüber gesprochen, wie er es geschafft hat. Er ist ja körperlich nicht der Größte und war ganz am Anfang nicht so mit Talent gesegnet. Wenn man dann noch als kleiner weißer Junge mit den typischen Basketballriesen, die eine wahnsinnige Kraft und Athletik haben und jeden Ball per Dunking versenken, spielt, kann man schon mal beeindruckt sein. Und wenn man Steve Nash sieht, denkt man im ersten Moment nicht, dass er in der NBA mitspielen kann, geschweige denn MVP wird und an All-Star-Games teilnimmt. Aber er hat es trotzdem nach ganz oben geschafft.
Als er bei uns war, meinte er: ‚Es liegt nur an der Arbeit’. Er ist jeden Morgen vor dem Training eine Stunde früher auf den Court gegangen und hat 100 Bälle geworfen. Dasselbe noch mal nach dem Training. Das sind 200 Bälle am Tag. Das Ganze fünfmal die Woche sind schon 1000 Bälle. Über 50 Wochen hinweg, schon ist man bei 50.000 Bällen. Und das hat ihn besser gemacht. Nur so geht es. Natürlich muss man auch Glück haben, dass man entdeckt wird und das Glück haben, zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Mannschaft zu spielen, etc. Das kommt selbstverständlich hinzu.
Aber was man selber tun kann: 100% Leidenschaft, 100% Einstellung und 100% Arbeit. Sich seinem Job verschreiben und alles dafür tun, um besser zu werden.“

Laden Sie öfter externe Experten ein, um über solche Themen oder auch beispielsweise Ernährung oder Teambuilding zu reden?

„Einen Ernährungsspezialisten haben wir immer bei uns. Für andere Themen haben wir auch immer Experten um uns herum. Der Jürgen möchte immer möglichst viel Input haben. Danach wird dann selektiert: Welche Themen sind sinnvoll, was lassen wir weniger an uns heran. Das hat er ja damals in Deutschland auch schon gemacht, dass er beispielsweise Extremsportler, die Hunderte von Kilometern schwimmen oder die höchsten Berge besteigen, eingeladen hat. Das Ergebnis ist dabei meistens dasselbe. Letztendlich ist die Quintessenz immer: Du musst dich leidenschaftlich deinem Job widmen, jeden Tag 100% geben, versuchen, täglich besser zu werden und mehr tun als die anderen.“

Was macht für Sie einen guten Trainer aus?

„Jemand, der all diese Leute, also Geber und Nehmer, vereint, unter einen Hut bringt und seinen Expertenstab von Fitnesstrainern, Ernährungswissenschaftlern, Physios, Ärzten, usw. optimal in sein Team einbindet, das ist für mich ein guter Trainer. Er vermittelt seine Spielphilosophie so, dass sich jeder mitgenommen fühlt. Er baut alle Talente, die er in seiner Mannschaft hat, optimal ein – mit dem größtmöglichen Freiraum aber auch mit der maximalen Disziplin. Da gilt es, die Balance zu finden. Das sieht man ganz gut am Beispiel Offensive vs. Defensive.

Das Trainerteam der U23-Nationalmannschaft: Andreas Herzog und Matthias Hamann

In der Defensive geht es eher um Disziplin. Da muss jeder seinen Job machen, sich um einen Mann oder den Raum kümmern. Die Offensive steht eher für das Kreative. Ein Spieler muss sich gefordert, aber gleichzeitig nicht über- oder unterfordert fühlen. Er muss sich eingebunden und mitgenommen fühlen aber er muss sich auch für das Team verantwortlich fühlen. Und ein Trainer muss das Ganze auch kommunizieren können. Das macht einen guten Trainer aus.“

Und wie sieht es mit Jugendtrainern aus? Worin liegt die größte Herausforderung bei der Arbeit mit jungen Spielern?

„Das ist noch viel schwieriger. Wenn die Spieler gerade aus der Schule kommen oder mal keine Lust auf Training haben, muss man sie erst motivieren. Die Hauptaufgabe eines Jugendtrainers ist es, die Spieler mit Spaß und Begeisterung bei der Sache zu halten. Denn ohne Spaß und Begeisterung geht es nicht. Die Inhalte, technische oder taktische Geschichten, kommen dann von ganz alleine. Durch die Begeisterung, die man durch Spielformen oder kleine Wettkämpfe fördert, sind sie viel aufnahmefähiger. Darin liegt die Herausforderung.“

Bleiben wir bei der Jugendarbeit. Sie haben ja auch eine Fußballschule gegründet, sind sie da noch regelmäßig aktiv? Worauf legen sie Wert bei der Arbeit mit dem Nachwuchs?

„Zur Zeit eher weniger. Wir haben das die letzten Jahre auf ein, zwei Camps pro Jahr beschränkt. Da hat einfach die Zeit gefehlt. Die meisten Kids waren zwischen sechs und 14. In dem Alter geht es hauptsächlich darum, den Kindern Spaß zu vermitteln; Spaß am Spiel, Spaß an der Bewegung, Spaß am Fußball. Wir hatten aber auch immer den Ansatz, ein klein wenig Wettkampfpraxis miteinzubeziehen und den Kids zu zeigen, wie es die großen Kicker machen und wie es weitergehen kann.“

Individualisten werden durch die deutsche Ausbildung beschnitten.

Wie wird es denn mit dem Fußball weitergehen? Oder fangen wir von vorne an: Wie hat sich der Fußball seit Ihrer aktiven Zeit verändert und wohin wird er sich entwickeln?

„Zurzeit spricht jeder von ballorientiertem Verhalten und die Mannschaften sind nur noch am Verschieben. Da ist meiner Meinung nach ein bisschen was verloren gegangen, wenn man das mit meiner aktiven Zeit vergleicht. Das ist zwar jetzt erst 20 Jahre her, also noch nicht so lange, aber im Fußball macht das anscheinend viel aus. Heutzutage werden die Probleme eher im Verbund gelöst. Es gibt nicht mehr den einen, der den Ball gewinnt, sondern einer drängt den Spieler ab, der nächste stellt ihn, einer stellt den Passweg zu und der Vierte gewinnt dann vielleicht den Ball. Früher war das ein bisschen anders. Da war das Eins-gegen-Eins noch sehr wichtig. Gerade ich als Defensivspieler habe sehr oft Mann gegen Mann gespielt. Da hieß es dann: ’Du musst jetzt den Stürmer abmelden und schauen, dass du die Bälle gewinnst!’
Egal wo der Ball war, du musstest dich mit dem anderen Spieler auseinandersetzen und konntest nicht darauf zählen, dass ein anderer dir hilft, der hatte nämlich seinen eigenen Mann. Da ist ein bisschen Verantwortlichkeit verloren gegangen. Heute schiebt man das ein bisschen Hin und Her und am Ende ist doch keiner verantwortlich. Ich glaube schon, dass das ein Problem ist, vor allem in der Ausbildung. Da sagt keiner mehr: ‚Das war dein Ding, du warst dafür verantwortlich‘, sondern es war eine Kettenreaktion. Ich glaube es würde nicht schaden, den Jungs wieder mehr Verantwortung zu übertragen. Das würde auch ein bisschen zur Persönlichkeitsbildung beitragen.

Zudem ist das Spiel schneller geworden, besonders in den Umschaltbewegungen. Ich glaube die Laufleistungen haben sich nicht großartig verändert. Wir mussten früher auch die Linie rauf und runter ackern (lacht). Heut wird viel auf Ballbesitz gespielt. Manchmal wird von der Mittellinie zurück zum Torwart gepasst, der spielt ihn zurück zur Mittellinie und man ist wieder am Anfang. Das ist nicht immer nachvollziehbar aber so hat sich das Spiel eben entwickelt. Was definitiv besser geworden ist, ist die technische Ausbildung der meisten Spieler, auch auf engem Raum.

Ich sehe berufsbedingt relativ viele Spiele im Stadion, ca. 100-120 pro Jahr. Und egal ob das U17, U19 oder U23 Bundesligaspiele sind, viele Spiele sehen sich sehr ähnlich. Es wird viel verschoben, man hat sein Quadrat in der Defensive, das bewegt sich über den Platz, der Gegner versucht drum herum oder durchzuspielen, bei Ballgewinn wird sofort umgeschaltet und die andere Mannschaft verschiebt ihr Defensivquadrat. Ab der U17 sieht sich einfach alles sehr ähnlich und die Individualisten werden durch die deutsche Ausbildung ein bisschen beschnitten. Da wird, übertrieben gesagt, der flache Pass über 5 Meter gefordert und der Außenrist-Chip-Pass wird verboten. Da wird dem Spieler einfach etwas genommen. Und mit 25 hätte man dann gerne genau diesen Spieler, der den Pass mit dem Außenrist chippen kann, weil sich der Gegner auf das Standardspiel eingestellt hat. Aber ich denke da findet auch bald ein Umdenken statt und man lässt solche Raffiniertheiten wieder zu, bzw. versucht sie nicht „auszutreiben“. Wir versuchen das in den USA zu fördern. Gerade diese Individualität und Persönlichkeitsbildung hat für uns hohe Priorität. Natürlich muss ein Spieler auch einen flachen Ball über fünf Meter spielen können, aber wenn der Spieler Persönlichkeit hat, ist es mir auch egal, ob er den Pass mit dem Außen- oder Innenrist spielt. Solange er sich gut dabei fühlt, ist alles gut.“

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