„Da sind dann sogar Mannschaften wie Bayern München verwundbar.“ Interview mit Thomas Helmer (Teil 2)

Im zweiten Teil des Interviews spricht der Europameister und Doppelpass-Moderator Thomas Helmer über Giovanni Trapattoni, Ottmar Hitzfeld und darüber, von welchen Trainern er am meisten gelernt hat. Außerdem verrät er uns, wie sich der Fußball seit seiner aktiven Zeit entwickelt hat, wie man die übermächtigen Bayern vielleicht schlagen kann und was er von Thomas Müllers ungewöhnlichem Freistoßtrick hält.

Wo haben Sie persönlich mehr gelernt, von Ihren Trainern oder durch die TV-Analysen?

„Was ich bei der letzten Frage über die taktischen Dinge erzählt habe, ich glaube solche Geschichten kann man heutzutage einfacher lernen. Aber die wesentlichen Grundelemente habe ich schon bei meinen Trainern gelernt. Das beste Beispiel ist Giovanni Trapattoni, der mir als Verteidiger unheimlich weitergeholfen hat. So sagte er mir beispielsweise: ‚Die kleinen Situationen entscheiden ein Spiel.‘ Damit meinte er Eckbälle, Freistöße und Elfmeter. In dem Zusammenhang muss ich immer an das Champions League-Finale von 2012 in München zwischen den Bayern und Chelsea denken. Chelsea hatte nur eine einzige Ecke und die versenkt Drogba per Kopf. Außerdem gab er mir mit: ‚Thomas, bei einem Freistoß gegen uns musst Du immer als Erster beim Torwart sein.‘ Warum? Man muss nur mal an die ganzen Abstauber-Tore denken. Diese Dinge hat er so oft wiederholt, bis sie sich im Unterbewusstsein festgesetzt haben. Und so war man dann tatsächlich immer vor dem Stürmer da.
Das sind nur zwei Beispiele für ganz elementare Geschichten, die ich vor allem bei Giovanni gelernt habe. Er war auch einer der Ersten, der uns in der Viererkette ‚verschoben‘ hat. Das kannten wir bis dahin in der Form nicht, weil wir relativ starr gespielt haben.“

Seit dieser Saison moderiert er die Sendung „Doppelpass“: Thomas Helmer.
©SPORT1

Sie haben also von Giovanni Trapattoni als Trainer am meisten mitgenommen?

„Also was die gerade beschriebenen Dinge angeht, ja, vielleicht. Aber ich habe natürlich auch viel von anderen Trainern mitbekommen. Von Ottmar Hitzfeld habe ich beispielsweise gelernt, wie man Autorität und Glaubwürdigkeit verbindet. Durch diesen Führungsstil konnte er sich so lange bei den Bayern halten. Das war Ottmars große Stärke.“

Sie haben jetzt seit ein paar Jahren wöchentlich Bundesligaspiele analysiert, da kommt ja einiges zusammen. Was ist Ihr Eindruck, wie haben sich das Spiel und die Taktik in den letzten Jahren entwickelt. Und was ist Ihre Prognose für die Zukunft?

„Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren fast alles mal erlebt. Da wurde die Viererkette auf einmal zur Fünferkette, beispielsweise bei Schalke. Bei der WM wurde mit vier Innenverteidigern gespielt. Mittlerweile sieht man auch häufig sehr hochstehende Außenverteidiger, vor allem wenn man den Gegner unter Druck setzen möchte und auf Ballbesitz spielt. Das Thema Ballbesitz hat sich generell enorm entwickelt. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es gut ist. Ich bin immer noch der Meinung, dass es darauf ankommt, wo der Ballbesitz stattfindet. Es nutzt nichts, wenn ich den Ball nur hinten oder von links nach rechts herumschiebe. Letztendlich landet der Ball dann wieder beim Torwart, der ihn lang nach vorne schießt. So gewinnt man keinen Raum. Das habe ich jetzt schon relativ oft gesehen. Also manche Sachen erschließen sich mir auch nicht hundertprozentig.
Ich glaube, heutzutage sind schnelle Außenspieler das A und O, gerade wenn der Gegner hoch verteidigt. So hat man die Chance, in die gefährlichen Schnittstellen hineinzukommen. Da sind dann sogar Mannschaften wie Bayern München verwundbar.“

Und wenn Sie das heutige Spiel mit Ihrer aktiven Zeit vergleichen, wo sehen Sie da die größten Unterschiede?

„Das Spiel ist definitiv schneller geworden. Man konnte das wunderbar bei Dortmund beobachten. Bis auf letzte Saison haben sie das wunderbar praktiziert. Da hatten sie wohl nicht mehr die körperliche und geistige Frische und dann passiert das, was eigentlich nicht passieren sollte: Man spielt immer noch schnell, aber man verliert fast jeden zweiten Ball und muss dann hinterherlaufen. Das ist sehr kräftezehrend. Die Schnelligkeit ist gut, aber man muss dafür auch topfit sein.
Zu meiner Zeit war es außerdem nicht denkbar, dass ein Linksfuß Rechtsaußen spielt, wie das beispielsweise bei Arjen Robben manchmal der Fall ist. Allerdings gibt es diese Art von Spieler nicht mehr so häufig. Damit meine ich nicht seine Schnelligkeit, sondern seine Fähigkeiten im Eins-gegen-Eins. Genauso, wie der typische Mittelstürmer, der mit Flanken gefüttert wird, kaum noch existiert. In der Nationalmannschaft speilen wir ja schon mehr oder weniger ohne ihn. Große Probleme haben wir auf den Außenverteidiger-Positionen, aber das war zu meiner Zeit auch schon so. Komischerweise gab es kaum defensive Spieler mit einem guten linken Fuß. Für mich war es von Vorteil, denn so durfte ich ran.“

Gibt es manchmal Spielzüge, Systeme oder taktische Raffinessen, von denen Sie überrascht werden? Wann haben Sie zuletzt gedacht: „Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet“?

„Selten. Spontan fällt mir Thomas Müllers Freistoßtrick bei der WM ein. Das fand ich schon gut und damit hat wohl auch niemand gerechnet.“

Ihr ehemaliger Verein, der FC Bayern München, dominiert die Liga. Würden Sie sich mehr Konkurrenz und Ausgeglichenheit wünschen? Wie könnte man das erreichen?

„Manchmal würde ich mir ein bisschen mehr Mut von den anderen Vereinen wünschen. Da sollte man nicht schon vorher ‚aufgeben’. Natürlich sind die Bayern einen Schritt weiter als die meisten und finanziell steht es ja auch nicht schlecht um sie, aber das haben sie sich auch erarbeitet. Trotzdem würde ein bisschen mehr Mut im Spiel gegen die Bayern nicht schaden. Ich glaube, das wäre der erste Schritt. Ansonsten wäre es natürlich schön, wenn die Meisterschaft nicht immer so früh entschieden wird, das ist einfach nicht gut für die Spannung. Aber das wünschen wir uns glaube ich alle.“

Teil 1 noch nicht gelesen? Hier geht’s zum ersten Teil des Interviews.

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