Kopfsache Fußballspiel – Performen unter Druck

Maximaler Druck: WM-Finale 2002. Deutschland gegen Brasilien. Es geht also um den wohl wichtigsten Titel des Weltfußballs. In der 67. Spielminute die wohl spielentscheidende Situation: Oliver Kahn, der bis zu diesem Moment im gesamten Turnier über herausragend gehalten hatte und nicht umsonst von der FIFA zum Spieler des Turniers gewählt wurde, lässt einen Schuss Rivaldos nach vorne klatschen, Ronaldo staubt ab und erzielt das 1:0 für Brasilien. Die Südamerikaner siegen am Ende mit 2:0. Die geschilderte Situation zeigt zum einen eine gewisse Tragik des Fußballs auf – nämlich wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg bisweilen ist und wie schnell ein Torwart wie Kahn, der Deutschland erst ins Finale geführt hatte, gerade auch in den Augen der oftmals sehr schnell und hart urteilenden Gesellschaft, vom Helden zum vermeintlichen Versager der Nation werden kann. Zum anderen zeigt dieses Beispiel auf, welch enormen mentalen Anforderungen Fußballspieler v.a. im Wettkampf ausgesetzt sind – gerade Lizenzspieler, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Insbesondere ein angemessener Umgang mit Druck stellt ein entscheidendes Leistungskriterium dar.

Dieser Artikel hat zum Ziel, die Besonderheit der Wettkampfsituation aufzuzeigen und konkrete Interventionsstrategien für einen geeigneten Umgang mit Druck zu beleuchten.

Die Besonderheit der Anforderungssituation Wettkampf

Die Mitspieler, die Größe des Tores und des Spielfelds: Vieles scheint wie im Training zu sein. Auch die grundlegende Zielstellung an sich, mehr Tore als der Gegenüber zu erzielen, ist dieselbe. Relevante Aspekte ähneln oder entsprechen sich. Und dennoch scheint der Wettkampf im Vergleich zu Trainingssituationen eine andere Charakteristik zu besitzen. Doch was genau unterscheidet die Anforderungssituation des Wettkampfs von einer Trainingssituation?

  • Ein Pflichtspiel an sich ist nicht wiederholbar (Schliermann & Hülß, 2016). Es besteht weder die Möglichkeit, eine Situation zu wiederholen noch ein Ergebnis nach dem Schlusspfiff zu revidieren. Mit dem Schlusspfiff wird nach dem Gesetz des Leistungssports knallhart nach Punkten abgerechnet. Dessen ist sich jeder Spieler und Trainer bewusst.
  • Ein Pflichtspiel geht bewusst oder unbewusst mit Vorhersagen bezüglich des erwarteten Spielverlaufs und des Ergebnisses einher (Schliermann & Hülß, 2016). Daraus erwächst eine gewisse Erwartungshaltung, die durch Externe zusätzlich verstärkt werden kann.
  • Ein Pflichtspiel hat oftmals Konsequenzen zur Folge (Schliermann & Hülß, 2016), beispielsweise personeller Natur. Der Spieler weiß, dass er unter Umständen ersetzt wird, wenn er in der Anforderungssituation Wettkampf eben nicht performt.

Daraus erwächst für viele Spieler ein besonderes Empfinden von Stress und Druck, welches durch Faktoren, die das jeweilige Spiel betreffen, zusätzlich beeinflusst wird. Beispielsweise durch die Bedeutsamkeit des anstehenden Spiels. So wird z.B. ein WM-Finale vermutlich bei den Beteiligten ein höheres Stresslevel hervorrufen als ein „gewöhnliches“ Ligaspiel. Auch die subjektive Einschätzung der Stärke des Gegners spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Ein Spiel gegen den Tabellenletzten z.B. kann als ein „Must-Win“ interpretiert werden, was zusätzlichen Stress auslösen kann. Aber auch ein Match gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner kann dann zusätzlichen Stress verursachen, wenn die Spieler nicht davon überzeugt sind, der anstehenden Anforderungssituation gewachsen zu sein. Zudem können Instanzen wie Medien, Mitspieler, Trainer sowie insbesondere im Nachwuchsbereich zusätzlich die Eltern durch ihr Verhalten und ihre Kommunikation erheblichen Stress und Druck im Spieler auslösen – immer in Abhängigkeit davon, wie dieser das Verhalten und die Kommunikation dieser Instanzen wahrnimmt und subjektiv bewertet. Aus der Besonderheit der Wettkampfsituation ergibt sich für leistungsorientierte Fußballer die Notwendigkeit, gezielt an ihrer mentalen Stärke zu arbeiten, insbesondere im Sinne der Entwicklung einer Druckresistenz.

Tipps für einen adäquaten Umgang mit Druck

Neben dem Spieler selbst, der z.B. mithilfe sportpsychologischer Techniken einen akzeptablen Umgang mit Druck trainieren und erlernen kann, gibt es zwei weitere zentrale Ansatzstellen, die bedient werden können: die Trainingsgestaltung und das System rund um den Fußballer. Im Folgenden sollen einige mögliche Strategien aufgezeigt werden, wie sich gezielt Druckresistenz entwickeln lässt.

Ansatzstelle Spieler

  1. Das Selbstgespräch
    Das Ziel besteht hierbei darin, Gedanken zu entwickeln, die dem gewünschten Handlungsmuster oder dem gewünschten Denken entsprechen. Dadurch gelingt es dem Spieler, auf das aufgabenrelevante Geschehen in der gegenwärtigen Anforderungssituation fokussiert zu bleiben. So kann beispielsweise das Trainerteam gemeinsam mit seinen Schützlingen konkrete und individuelle Selbstgespräche für bestimmte, häufig vorkommende Spielsituationen (z.B. die gegnerische Ecke) erarbeiten. Anschließend gilt es für die Spieler, sich die Selbstgespräche einzuprägen und automatisiert situationsbedingt, zunächst im Training, anschließend im Spiel, selbst anwenden zu können.
  2. Die Selbstbekräftigung
    Durch die gezielte Entwicklung positiver Denkmuster lernt der Spieler, vor bzw. in bedeutsamen Situationen positiv mit sich selbst zu sprechen. Hierfür erarbeitet er sich positive Selbstanweisungen und übt deren praktische Anwendung im Training und Wettkampf.
  3. Die Visualisierung
    Durch das wiederholte Abrufen bildhafter Vorstellungen von eigenen erfolgreichen Wettkampfsituationen lernt der Spieler, gelungene Aktionen abzuspeichern, um diese Vorstellungen bei zukünftigen Anforderungen vorab wieder abrufen zu können. In seinem Inneren lässt er einen Film ablaufen, beispielsweise, wie er einen scharf getretenen Freistoß gekonnt im Tor versenkt. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die Vorstellungsinhalte einen hohen inhaltlichen Bezug zum Kontext der aktuellen, im Wettkampf zu bewältigenden Aufgabe haben sollten.

Ansatzstelle Trainingsgestaltung

Grundsätzlich besteht ein Schlüssel im Trainingsprozess darin, immer wieder gezielt und bewusst Situationen ins Training einzubauen, die im Spieler ein besonderes Erleben von Druck provozieren. Dieser muss sich somit immer wieder mit eigenen Stressdosen auseinandersetzen, deren Intensität im Laufe des Trainingsprozesses idealerweise gesteigert wird. Durch diese Vorgehensweise wird der Spieler zwar nicht immun gegen Druck, sie unterstützt ihn aber dabei, sinnvoll mit diesem umzugehen, sodass er künftig auch in realen Drucksituationen besser funktionieren wird. Es gilt also z.B. Aufgabenstellungen an Konsequenzen zu koppeln, die im Misserfolgsfall eintreten. Diese müssen dabei so gewählt werden, dass sie in der Wahrnehmung des Spielers auch tatsächlich ein Stressfaktor darstellen. Ein konkretes Beispiel für eine Trainingsform zur Schulung der Druckresistenz ist das Simulationstraining.

  1. Das Simulationstraining
    Das Ziel des Simulationstrainings besteht hauptsächlich darin, unter möglichst realistisch nachgestellten Spielbedingungen das gewünschte Verhalten zu trainieren. So lassen sich kritische Spielsituationen, die durch das Empfinden von Druck und damit einhergehend mit Unsicherheit und Konzentrationsschwierigkeiten gekennzeichnet sein können, möglichst realistisch im Training wiedergeben. Durch die Wiedergabe einer Geräuschkulisse, die beispielsweise eine große Zuschaueranzahl und ggfs. sogar Beleidigungen durch Fans der gegnerischen Mannschaft beinhaltet, werden ungünstige Spielbedingungen simuliert, sodass das Gehirn ein Stück weit in Richtung Anforderungssituation konditioniert, also vorbereitet wird. Das Simulationstraining kann dabei in Abhängigkeit persönlicher Stressoren gestaltet werden: Sind es insbesondere die Zuschauer, die Stress im Spieler auslösen, macht das Trainieren unter einer solchen simulierten Geräuschkulisse besonders Sinn; ist beispielsweise die Körpergröße des Gegenspielers ein Stressthema, kann es hilfreich sein, den Fußballer im Training insbesondere gegen große Gegenspieler antreten zu lassen. Unabhängig von dieser Form des Trainings besteht ein weiterer Schlüssel, um als Spieler funktional mit Druck umgehen zu können, darin, Erfolgserlebnisse zu generieren.
  2. Das Ermöglichen von Erfolgserlebnissen
    Bewältigte Anforderungen, die als herausfordernd empfunden wurden und deren Bewältigung man sich selbst zuschreibt, führen zu einer gestärkten Kompetenzüberzeugung und damit einhergehend zum inneren Glauben, einer ähnlichen Herausforderung dank der eigenen Fähigkeiten auch in Zukunft gewachsen zu sein. Wenn es dem Spieler gelingt, eine stabile Kompetenzüberzeugung zu entwickeln, wird er gedanklich weniger mit möglichen Konsequenzen potenzieller Fehler beschäftigt sein, sondern sich deutlich eher auf die in der Gegenwart zu vollziehende Aufgabe fokussieren und somit auch unter Druck besser performen können. Für das Trainerteam gilt es folglich, genau solche, Erfolgserlebnisse ermöglichende Bedingungen durch die Durchführung passender Trainingsformen zu schaffen.

Ansatzstelle System rund um den Spieler

Zweifelsfrei hat das System rund um den Spieler, also die Mannschaft sowie die einzelnen Spieler und Trainer sowie der Freundeskreis und das Elternhaus einen enormen Einfluss auf das Denken, Fühlen und letztlich auch das Verhalten des Fußballers. Das Etablieren einer konstruktiven Fehlerkultur kann diesen zusätzlich maßgeblich dabei unterstützen, unter Druck zu performen. Spürt der Spieler, dass Fehler insbesondere seitens seiner Trainer als Lernchance und Weiterentwicklungsmöglichkeit sowie als zu akzeptierender Teil des Fehlerspiels Fußballs betrachtet und im Falle des Falls konstruktiv, lösungsorientiert und selbstwertstärkend ausgewertet werden, reduziert dies das Druckempfinden des Spielers maßgeblich. Eine der zentralen Aufgaben des Trainers in Bezug auf sein Führungsverhalten besteht zudem darin, dem Fußballer Sicherheit zu geben und einen Anker zu bieten. Spürt er, dass der Trainer wie ein Fels hinter ihm steht und ihm in höchstem Maße vertraut, wird er auch in der Anforderungssituation Wettkampf immer besser performen können.

Janosch Daul

Leiter Sportpsychologie im Nachwuchs des Halleschen FC

Quellen:
Schliermann, R. & Hülß, H. (2016). Mentaltraining im Fußball. Ein Handbuch für Trainer,
Übungsleiter und Sportlehrer (2. Aufl.). Czwalina: Hamburg.
Success message!
Warning message!
Error message!