Tennis-Ausbildung der Zukunft: Vorfahrt für’s Spielen

Umschwung auf dem Tennis-Court: Zwei Jahrzehnte nach dem Boom dank der großen Erfolge von Steffi Graf und Boris Becker benötigen die Vereine dringend neue Konzepte, um junge Spieler zu werben. Seit Mitte der 90er Jahre schrumpft die Zahl der Mitglieder im Deutschen Tennis-Bund (DTB) stetig. Von einst mehr als 50.000 Tennisplätzen sind derzeit noch 47.500 vorhanden. Waren vor wenigen Jahren noch 10.330 Vereine gemeldet, mussten sich seither mehr als 1000 Klubs zurückziehen. Mit knapp 1,5 Millionen Mitgliedern ist der DTB zwar nach wie vor der größte Tennis-Verband der Welt, doch jeder Zweite hat mindestens 40 Jahre auf dem Buckel.

Mit dem Ballwurf geht’s los: Beim Tennis hat der Aufschläger immer einen großen Vorteil.

Annäherung zwischen Schulen und Vereinen erwünscht

Da will Reimar Bezzenberger von der Darmstädter Tenniswerkstatt gegensteuern. Der studierte Sportwissenschaftler wirbt für planmäßige Kooperationen zwischen Schulen und Tennisvereinen: „Das hätte schon viel früher forciert werden müssen. Auch Zusammenarbeiten zwischen Kindergärten und Vereinen sind sinnvoll.“ Beide Seiten profitieren: Die Motivation der Kinder steigt – sie begeistern sich für den Schulsport und hoffentlich auch für ein Schnuppertraining im Klub oder eine sofortige Mitgliedschaft. Vereine sollten die Schule also nicht etwa als Konkurrenz um die knapp bemessene Freizeit des Nachwuchses sehen, sondern als Aktionsplattform: Hier können sie sich präsentieren und im Idealfall neue Mitglieder anlocken.

Gewinner von Bezzenbergers Idee sind aber nicht nur die Vereine, sondern zugleich auch die Schulen und die Kinder selbst. Denn das Spielen mit Ball und Schläger im Allgemeinen und damit Tennis im Speziellen fördert die motorische Vielseitigkeit der Kinder, deren Kreativität und vor allem die grundlegenden Spielfähigkeiten für die diversen Sportspiele.

Verlieren? Im Team lernen

Dabei darf die Ausbildung aber nicht zu tennisspezifisch sein. Bezzenberger warnt: „Tennisspieler sind letztlich alles Individualisten. Wenn die Kinder zusätzlich einen Mannschaftssportart ausüben, lernen sie auch miteinander Sport zu treiben und miteinander zu verlieren. Gewinnen ist schön, aber Verlieren muss ich lernen.“ Vielseitigkeit heißt bei den jüngsten Sportlern das Zauberwort. Also: Keine frühe Spezialisierung und das Training nicht nur auf eine Sportart ausrichten.

In den ersten Ausbildungsstufen sollte man also nicht nur auf tennisorientierte Schwerpunkte setzen. Universelle Aufgaben fördern den Nachwuchs ganzheitlich und motivieren zur Bewegung. Die Mädchen und Jungen lernen fliegende, rollende und springende Bälle spielerisch kennen. „Der antiquierte Trainer, der sich nur hinstellt und Bälle spielt, muss sich nicht wundern, warum er plötzlich keine Kinder mehr im Training hat“, stellt Bezzenberger klar: „Der Trainer muss innovativ sein – in allen Varianten. Wer das ist, der hat auch Erfolg.“

Der Ball rollt: Ganz zu Beginn sollten die Kinder den Tennisball noch nicht springend erleben.

Blick des Trainers geht über den Tennis-Platz hinaus

Gerade in den Altersstufen von der U7 bis zur U12 nehmen Trainer und Sportlehrer eine Schlüsselposition bei der Ausbildung ein. Bei einer Kooperation zwischen Schule und Verein fungiert der Trainer zudem als Bindeglied zwischen beiden Institutionen. Er ist wahlweise Ansprechpartner, Vermittler, Bezugsperson. Oder wie Bezzenberger es ausdrückt: „Die Kinder vertrauen dem Trainer mehr als irgendjemand anderem.“ Sein Blick muss immer über den Tennis-Court hinausgehen. Nur so kann der Trainer das aktuelle Bewegungsverhalten seiner Schützlinge richtig einordnen.

Kleinere Felder, Bälle und Schläger: Play+Stay findet den Weg nach Deutschland

Für ein erfolgversprechendes Training des Nachwuchses greift der Trainer auf einige spezielle Hilfsmittel zurück. Denn bei den Kleinsten sollte alles etwas kleiner ausfallen: das Spielfeld, die Bälle, der Schläger. Hierzu hat der DTB das weltweite Play+Stay-Konzept aufgegriffen und mit dem Programm Tennis 10s für die Altersstufen bis zur U10 verfeinert. „Das ist absolut sinnvoll“, findet Bezzenberger. Er plädiert sogar für einen weiteren Schritt zurück: „Ich würde – wie in einigen anderen Ländern – noch eine weitere Stufe voranstellen, bei der der Ball zunächst nur rollt. Denn viele Kinder sind nicht sofort in der Lage, motorisch koordinativ einen fliegenden Ball hin- und herzuspielen.“

Zudem kann der Trainer Zusatzregeln aufstellen, um den Mädchen und Jungen längere Ballwechsel oder auch Punktgewinne zu erleichtern. Das funktioniert etwa mit einem niedrigeren Netz – als Ersatz halten gern auch Schnüre, Tennisbanden oder Bänke her. „Der Trainer kann die Kinder aber auch einfach spielen lassen. Sie entwickeln dann ihre eigenen Regeln und bekommen dabei keinen Stress miteinander“, hebt Bezzenberger die Vorzüge eines beobachtenden Trainers hervor. Bei der Auswahl der Bälle muss der Trainer den jeweiligen Effekt bedenken. Weichere Spielgeräte rollen und springen langsamer. Kleinere Kugeln lassen sich einfacher greifen, rutschen aber leichter durch die Hand.

Willkommene Sitzgelegenheit: Dem Trainer bieten sich diverse Möglichkeiten, um den Kindern das Spielen zu erleichtern.

Zehn Tipps für den modernen Kinder-Tennis-Trainer

Grundsätzlich fasst die Darmstädter Tenniswerkstatt zehn Regeln für ein attraktives Kinder-Training im Tennis zusammen:

  1. Begeisterung für das Bewegen und Spielen nachhaltig fördern.
  2. Einfache Bewegungsformen interessant und abwechslungsreich gestalten.
  3. Vielseitige Aufgaben schaffen und verschiedene Bälle einsetzen.
  4. Aufgaben kindgemäß und kurz erläutern sowie anhand von Beispielen vorstellen.
  5. Kleine Gruppen bilden und ihnen Bewegungsaktivitäten mit unterschiedlichen Spielaktionen gewähren.
  6. Einfache Regeln festlegen, die das Mit- und Gegeneinanderspielen erleichtern, um eine gemeinsame Interaktion zu fördern.
  7. Grundelemente des Tennis in kleinen, motivierenden Schritten vermitteln.
  8. Aufgaben dem individuellen Könnensstand anpassen.
  9. Nur ins freie Spiel eingreifen, wenn es unbedingt erforderlich ist.
  10. Stets ein Vorbild für die Kinder sein.

Beim Aufwärmen geht’s um die Koordination

Spaß, Spiele und richtig gutes Training. Kreative Übungen für den Tennis-Nachwuchs.

Schon die Aufwärmphase beinhaltet so ihre Tücken. Hier steht vor allem die Schulung der Koordination im Fokus. Damit sich jedes Kind an seine individuelle Leistungsgrenze herantasten kann, sollten die koordinativen Aufgaben so gestaltet werden, dass sie sich problemlos erschweren respektive erleichtern lassen. Koordinationsspiele machen nur in ausgeruhtem Zustand Sinn, da diese Übungen schnell ermüdend wirken können. Die jeweiligen Bewegungsabläufe werden durch vorsichtiges und erfolgreiches Üben erlernt und gefestigt. Dabei ist Variabilität wichtig – etwa in Form von Zusatzaufgaben, erschwerten Rahmenbedingungen oder schnelleren Bewegungsausführungen. Insgesamt sollten alle koordinativen Fähigkeiten ausgewogen geschult werden.

Natürlich gibt es auch unter den Jüngsten große Unterschiede bei der Trainingsgestaltung. So verfügen Kinder der Altersklasse U7 über ein geringeres Konzentrationsvermögen und ermüden schneller. Schüler der U10 besitzen eine hohe Lern- und Leistungsmotivation. Während gerade in der U7 und U8 motivierende und spaßbringende Spielformen aneinandergereiht werden sollten, kann bei den etwas älteren Spielern systematisch an den Basistechniken gewerkelt werden. Wobei auch hier das Spielen nicht zu kurz kommen darf. Die Kinder sollen Bewegungserfahrungen mit und ohne Ball sammeln, Tennis spielerisch kennenlernen und die Sportart abwechslungsreich erleben. Hier bieten sich Rückschlagspielformen in vielen Variationen an. Generell kann die richtige Schlag-Technik in den ersten Jahren noch vernachlässigt werden.

Springen, Hüpfen, Kriechen, Rollen, Fallen, Balancieren und Laufen – alles in der U7

Für die U7 mottet Bezzenberger das Wort Training gleichmal ein. Seiner Meinung nach kommt der Begriff Spielstunde dem Treiben auf dem Platz näher. Diese besteht aus mehreren aneinandergereihten Spielphasen. Dabei ist die Reihenfolge nebensächlich, allerdings sollten die Kinder zu Beginn ihren Bewegungsdrang ausleben können – etwa durch Lauf- oder Fangspiele. Nach ein paar spielerischen Aufgaben zur Koordinationsschulung beschließen Tennisspiele in kleinen Mannschaften die Spielstunde. Da sich in dieser Altersstufe koordinative Fähigkeiten optimal ausbilden lassen, empfehlen sich in jeder Einheit Bewegungsaufgaben in Kombination mit Springen, Hüpfen, Kriechen, Rollen, Fallen, Balancieren und Laufen.

Bei der Rückhand packen die meisten Tennisspieler mit beiden Händen zu.

U8: Spielerisch geht’s ran an die richtige Technik

In der U8 werden die Kinder an die Basistechniken der Schläge herangeführt – jedoch ohne systematisches Technik- und Taktiktraining. Dabei können koordinative Elemente integriert werden. Für eine bessere Rechts-Links-Koordination üben die Schüler auch mit der Nicht-Schlaghand. Die Kinder probieren die Techniken selbst aus, der Trainer verzichtet auf detaillierte Korrekturen. Neben der vielseitigen Bewegungsschulung und der spielerischen Heranführung an die Basistechniken steht auch das gemeinsame Tennisspielen in kleinen Teams im Fokus. Insgesamt soll in der Altersstufe das Ballgefühl in motivierenden und für jedes Kind lösbaren Aufgabenstellungen verbessert und die Spielfreude weiter gefördert werden. Auch hier können die Trainingsstunden mit kleinen Mannschaftswettbewerben und Turnierformen im Kleinfeld abgeschlossen werden.

Technik- und Taktik-Kenntnisse werden in der U9 vertieft

Die Kinder der U9 befinden sich im Schwellenalter. Nun werden die gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Basistechniken und der taktischen Elemente methodisch-individuell zielführend weiterentwickelt. Das Techniktraining ist weiterhin vor allem als Spieltraining gestaltet. Der Übungsanteil zur Technikverbesserung nimmt zu. Allerdings werden die Kinder noch immer nicht im Detail korrigiert, sie sollten aber mit Tipps zur Spielverbesserung versorgt werden. Als kleines Schmankerl steigen kindgerechte Punktspielrunden – also auf verkleinerten Spielfeldern und mit weicheren Bällen.

Mit Kreativität zur richtigen Technik: originelle Aufschlag- und Volley-Übungen.

U10: Technik schlägt Taktik und Wiederholungen sind gern gesehen

In der U10 haben die Kinder das so genannte Lernalter erreicht. Jetzt bietet sich ein konzentriertes und systematisches Techniktraining an. Außerdem sollten taktische Kenntnisse vermittelt werden. Die koordinativen Bausteine bleiben fester Bestandteil des Trainingsprogramms, treten aber gegenüber den tennisspezifischen Inhalten in den Hintergrund. Wir arbeiten mit vielen Wiederholungen, um einen Fortschritt bei der Technikausführung zu garantieren. Denn beim Gelingen einer Aufgabe spielt neben der Schwierigkeit auch der Bekanntheits- und Komplexitätsgrad eine Rolle. Deshalb können wir auch mal einen bekannten Bewegungsablauf wieder abrufen und im nächsten Schritt erweitern. Mit Blick auf die räumliche Orientierungsfähigkeit der Kinder steigern wir den Komplexitätsgrad der Übungen

Der Trainer richtet sich mehr denn je nach dem spielerischen Niveau der Kinder. Er handelt nach dem Grundsatz „Technik vor Taktik“. Außerdem werden in der U10 Schwerpunkte festgelegt, die im Verlauf der nächsten Wochen und Monate immer wiederkehren – eine langfristige Planung ist also unabdingbar. Während das Aufwärmprogramm eine vielseitige Bewegungsschulung mit einfachen Technikanteilen beinhaltet, wechseln wir im Hauptteil der Trainingseinheit zwischen freiem Spielen und Übungen. Um die Spieltechnik deutlich zu verbessern, sorgen wir für eine hohe Anzahl von Ballkontakten in unterschiedlichen Spielsituationen.

Vorfahrt für das Spiel

Die Schulung des Nachwuchses will also gelernt sein. Wer die Kleinen für Tennis begeistern möchte, muss ihnen von Beginn an die Faszination der Sportart vermitteln. Dabei gilt besonders das didaktische Prinzip „Spielen hat Vorfahrt“. Deshalb bekommen die Mädchen und Jungen zunächst im Spiel die Möglichkeit, selbst Schlagtechniken oder Taktiken auszuprobieren. Erst im zweiten Schritt üben sie dann das Ausprobierte in expliziten Aufgabenstellungen. So können sie das nun Erlernte schließlich im Spiel anwenden. Entwickeln unsere jungen Schützlinge Freude am Bewegen und speziell am Tennisspielen, bleiben sie dem Sport jahrelang oder im Idealfall sogar über mehrere Dekaden treu. Und so gewinnt hoffentlich auch die Sportart Tennis und kann an die Erfolgsära der Graf- und Becker-Jahre anknüpfen.

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