Eine Frage, die Trainer aus aller Welt seit Urzeiten beschäftigt, ist die nach der Positionsfindung der Spieler im Kinder- und Jugendbereich. Spieler wie Philipp Lahm, der erst spät in seiner Karriere plötzlich als Mittelfeldspieler statt als Rechtsverteidiger vollkommen neue Qualitäten beweist oder Franz Beckenbauer, der vom Mittelfeld-Akteur zum Libero umfunktioniert wurde und dort eine Welt-Karriere hinlegte, gelten eher als Ausnahmen. In der Regel findet die Positionsfindung der Spieler in der Jugend statt und vollzieht sich dann meist nur noch geringfügiger Veränderungen. Doch wie früh ist eine feste Positionierung der Spieler ratsam? Die Frage nach den festen oder wechselnden Positionen, die sich viele Jugendtrainer zu Beginn einer jeden neuen Saison stellen, fällt in den Bereich der Mannschaftstaktik. Doch wann sollten Kinder und Jugendliche überhaupt mit etwas so Komplexem wie Taktik konfrontiert werden? Wir befragen unsere Experten.
Technik über Taktik
Stefan Kohfahl, Leiter der Real Madrid Foundation Clinics in Deutschland will der Taktik im Kinder- und Jugendbereich noch keine allzu hohe Bedeutung beimessen: „Mannschaftstaktische Dinge sollten erst ab dem Aufbaubereich erfolgen. Vorher ist die technische Ausbildung, die Förderung der Spielintelligenz sowie die koordinative Ausbildung von Vorrang“, setzt der Mitarbeiter der Königlichen zunächst andere Prioritäten. Bei seiner Empfehlung zum Beginn mit mannschaftstaktischen Elementen hält sich Kohfahl an den Deutschen Fußball Bund: „Der DFB geht im individualtaktischen Bereich von einer Schulung ab der C-Jugend aus. Eine 1:1-Schulung kann schon früher einsetzen, aber alles sollte spielerisch, mit Überzeugung und Begeisterung geschehen“.
Ausbildungsbeginn: U14
Der langjährige U15-Trainer Andreas Haidl sieht das nicht anders, ist aber der Meinung, man könne allgemein taktische Vorgaben schon früher einfließen lassen: „Da kann ich eigentlich in der E-Jugend schon anfangen. Wie ich zum Beispiel ein Eins gegen Eins löse – offensiv wie defensiv. Das ist ja auch Taktik. Und so richtig ins Mannschaftstaktische, da reicht das, wenn man in der U14 ein bisschen damit anfängt, in der U15 aufbauen und in der U16, U17, U19 ist das ja alles dann schon Pflicht“, erklärt uns Andreas die Taktikschule bei seiner SpVgg Unterhaching. Als Grund dafür gibt er an, dass sich alles immer weiter nach unten verlagere: „Wenn ich mir ein C-Jugend-Spiel in der Regionalliga anschaue, das ist schon wahnsinn, was da taktisch an Qualität und Variabilität drin ist.
Je früher man damit anfängt, je besser die Basis ist, desto besser kann man darauf aufbauen.“
Eine typische taktische Sitzung in seiner U15 könnte dann beispielsweise so aussehen: „Wie spielt der Gegner? Spielt er mit einem Stürmer, spielt er 4-2-3-1? Spielt er 4-4-2? Dementsprechend haben wir dann auch ein, zwei Spieleröffnungen drin, bei denen ich sage: ‚So können wir die vielleicht knacken‘. Dann: Welche Pressingstrategie haben wir? Setzen wir die gleich früh unter Druck und spielen Angriffspressing, spielen Mittelfeldpressing oder spielen Mittelfeldpressing mit situativem Angriffspressing?“.
Aus Fehlern lernen
Ein wenig quer zu den beiden Fußballexperten steht die Meinung des Volleyball-Coaches Max Hauser. Der hat es mit seinem TSV Herrsching innerhalb weniger Jahre von der Kreisliga in die Bundesliga geschafft und würde im Kinder-und Jugendbereich weniger auf gezieltes Training setzen: „Hauptaufgabe im Kindertraining ist eine möglichst große Bewegungserfahrung. Diese wird nur eingeschränkt durch Vorgaben. Lasst die Kinder erst mal falsch laufen. Dann hat die Erklärung des richtigen Wegs mehr Sinn“, empfiehlt Max das Prinzip „trial and error“.
Als Volleyball-Trainer kommt Max zwar aus einer anderen Sparte des Sports, preist seine Berufsgruppe allerdings als die der „besten Methodiker“ an. Spricht man einen dieser besten Methodiker auf seine Empfehlung an, gibt Max folgendes Allgemein-Rezept heraus: „Zuerst muss man das Problem auf die einfachste Sache herunterbrechen. Und das dann üben. Dann macht man das Gleiche in realen Bedingungen. Dann in erschwerten Bedingungen. Dann als Unterzahlspiel und erst dann unter normalen Spielbedingungen. Das kann man auf jede Sportart und jede Aufgabe übertragen.“
Grundregel 1: Basis Individualtaktik
Dass Fußballtrainer mit methodischen Aufgaben oftmals überfordert sind, bestätigt uns auch Andreas von der Spielvereinigung, der zustimmt, dass Trainern oft eine gewisse Methodik fehle, um das Thema anzugehen – „was sie trainieren wollen, wirklich ein Lernziel“. Die goldene Regel ist für den U15-Coach dabei, dass das Lernziel immer altersgerecht ist: „Ich brauche jetzt in der E-Jugend keine perfekte Kette spielen, das geht einfach nicht“.
Damit Lernziele erreicht werden können, rät Andreas dazu, immer mit der Individualtaktik zu beginnen. Denn diese sei die Basis, die geschaffen werden müsse, um in komplexeres Training einsteigen zu können: „Dass ich weiß, wie spiele ich einen aus. Zum Beispiel im Eins gegen Eins: Wie verteidige ich einen im Eins gegen Eins? Das kann man dann steigern. Wie verteidige ich in der Gruppe zu zweit, zu dritt, dass einfach alles aufbauend aufeinander ist. Und damit kann man schon in der E-Jugend anfangen“, pocht der Bayer vom Tegernsee auf eine frühe Grundlagenschaffung.
Auch Ingo Anderbrügge legt Wert auf altersgerechte Fußballübungen.
Grundregel 2: Induktives Training
Stefan von Real Madrid ruft noch ein anderes Grundprinzip aus: „Generell ist ein induktives Training, vom Einzelnen zum Allgemeinen, förderlich. Berti Vogts, als DFB-Trainer ein Verfechter dieser Methode, sagte einmal: ‚Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr’“. So beruft sich der Jugendförderer erneut auf eine Quelle des Deutschen Fußball-Bundes. Das Problem, das Stefan bei der Vermittlung von gezielten Trainingsinhalten jedoch sieht, ist folgendes: „Ein ständiges Wiederholen, ein sogenanntes Einschleifen der Technik, ist langweilig“.
Zur Abwechslung: die Videoanalyse
Eine berühmt-berüchtigte Variante, wie sich das Taktiktraining ein wenig spannender gestalten lässt, wendet die SpVgg Unterhaching bereits im Kinder-und Jugendbereich an: die Videoanalyse. Junioren-Coach Andreas hat zwar auch immer die Tafel dabei, aber: „dann gibt’s zum Beispiel auch Sachen, bei denen ich sage ‚okay, wir halten jedes Spiel auf Video fest‘ und dann gibt’s ein Mal die Woche eine Videoanalyse über 30 Minuten“. Wichtig ist ihm besonders, dass man ein gewisses Feeling für verschiedene Lerntypen in seiner Mannschaft entwickelt: „Der eine braucht das Visuelle, der muss das sehen an der Videowand oder an der Tafel.
Der andere muss das einfach spüren draußen auf dem Platz, den muss ich da wirklich reinschieben in die Position“. Alterstechnisch sind bei der Videoanalyse in seinem Verein dabei keine Grenzen gesetzt: „Du kannst auch eine Videoanalyse mit der U13 machen. Aber da sollten es weniger um mannschaftstaktische Inhalte gehen, sondern eher um Individualtaktik, gruppentaktische Sachen und Technikanalysen. ‚Schau mal wie du da gelaufen bist, schau mal wie du gepasst hast‘ – Freilaufverhalten kann ich auch in der U13 schon machen, da spricht überhaupt nichts dagegen.“
Wichtig ist auf’m Platz
Ein wenig quer steht erneut unser Experte aus dem Volleyball. Für ihn kommt eine theoretische Analyse seines Trainings nur in Ausnahmefällen zum Einsatz: „Taktik sollte auf dem Feld stattfinden, nur ergänzend mal aufgezeichnet werden, wenn es sich um Mannschaftstaktik handelt. Aber alles Individuelle muss man in der Situation lernen“. Max hat sich mit seinem Training im Kinder- und Jugendbereich insbesondere das Ziel gesetzt, seine Spieler zu eigenständigen jungen Erwachsenen zu erziehen: „Will ich dem Kind sagen, wie es die Welt zu meistern hat oder will ich ihm dabei helfen, selbst Lösungen zu finden? Wenn man einem Meistertrainer und einem sportlichen Kind die richtigen Fragen stellt, kommen beide auf die selbe Lösung eines sportlichen Problems – also auf die selbe Taktik“.
Positionsfindungsphase: U14
Auch wenn sich die Trainer über gewisse Grundsätze einig sind – darüber, wann und wie ich mit welcher taktischen Ausbildung im Jugendbereich beginne, lässt sich letztlich streiten. Doch zurück zum Anfang: Auf eine beginnende mannschaftstaktische Ausbildung sollte konsequenterweise die erste Zuweisung von Positionen stattfinden, richtig?
Andreas gibt uns einen Einblick, wie es im Nachwuchsleistungszentrum der SpVgg Unterhaching läuft: „Wir unterscheiden gerade im Kleinfeldbereich, bis zur U12, U13 immer zwischen Offensive und Defensive. Ist er ein offensiver Spieler oder ist er ein defensiver Spieler – ohne jetzt spezielle Positionsgedanken zu haben. Und in der U14 wird das dann schon positionsspezifischer werden.
Da kann man vielleicht schon sagen, das könnte mal ein Außenverteidiger werden, das könnte von seiner Größe mal ein Innenverteidiger werden. Es gibt immer gewisse Spielerprofile pro Position. Ich kann keinen Spieler, der 1,50m groß ist in der B-Jugend als Innenverteidiger aufstellen. Das geht nicht, das muss schon positionsgetreu zusammenpassen. Aber so in der U14, U15 ist die Positionsfindung ein Thema“.
Rotation bei Kindern und Jugendlichen noch wichtiger als im Profi-Bereich
Einher geht die Suche nach der passenden Position natürlich auch oftmals mit dem Übergang des Spiels auf Elf gegen Elf auf dem Großfeld. Das Feld wird deutlich größer, es ergeben sich vollkommen neue Räume wie etwa auf den Außenbahnen, in der Tiefe oder in der Zone des Torwarts.
Obwohl sich gewisse Positionen auch schon früher herauskristallisieren, sind sich unsere Trainer zumindest einmal darüber einig, dass die einzelnen Spieler dennoch weiterhin auf verschiedenen Positionen rotieren sollen.
Claus Schromm, Sportdirektor der SpVgg Unterhaching rät:
„Meiner Meinung nach sollte man die Kinder bis zur U13/U14 auf allen Positionen spielen lassen. Erst ab dann macht es Sinn, eine gezielte Positionsthematik anzugehen. Meistens entwickeln die Spieler selber eine Affinität für eine bestimmte Position. Wenn man sie zum Beispiel einfach mal selber die Positionen wählen lässt, gehen sie eh dahin, wo sie sich am wohlsten fühlen. Ab der U16/U17 sind die Positionen dann meistens fix. Es kann natürlich später immer mal zu einem Wechsel kommen.
Gerade in der Defensive kann es schon mal vorkommen, dass ein linker Außenverteidiger nach rechts wechselt oder ein Innenverteidiger zum Sechser wird. Umso wichtiger ist eine vernünftige Basisausbildung auf verschiedenen Positionen im Kindes- bzw. Jugendalter. Auch für einen Abwehrspieler ist es wichtig, mal Stürmer gewesen zu sein, um zu wissen, wie der Stürmer tickt“.
Ähnlich sehen es Stefan Kohfahl und Andreas Haidl: „Eine generelle Aussage fällt hier schwer. Ein Sepp Maier war lange Zeit Jugend-Feldspieler und später als Torhüter Weltmeister. Eine zu frühe Festlegung halte ich nicht für förderlich“, erklärt beispielsweise unser Mann von Real Madrid. Auch unser Unterhachinger stimmt mit ein und hat gar ein noch aktuelleres Beispiel parat: „Das beste Beispiel dafür ist Manuel Neuer. Die modernen Torhüter können alle Fußball spielen. Von daher muss ich schauen, dass der Torwart auch einmal draußen spielt“. Bis zur D-Jugend muss Andreas‘ Keeper daher auch schon einmal draußen ran. Doch nicht nur sein Schlussmann muss auf verschiedenen Ebenen ausgebildet sein, auch von seinen Feldspielern erwartet der U15-Trainer Flexibilität: „Zwei, drei Positionen muss jeder Spieler eigentlich spielen können. Wenn ich jetzt sag: ‚Ich kann rechtes Mittelfeld spielen‘, dann kann ich auch rechter Außenverteidiger spielen. Dann kann ich aber auch mal im linken Mittelfeld spielen, wo ich mit dem starken Fuß mal nach innen ziehen kann. Also da gibt’s dann mehr Möglichkeiten. Ein Sechser muss als Innenverteidiger spielen können, ein Innenverteidiger muss einen Sechser spielen können. Aber auch ein Stürmer sollte auch mal Sechser spielen“.
Damit eine breite Ausbildung der Spieler garantiert ist, ist eine zu frühe Positionierung der Kinder und Jugendlichen auf dem Feld also keinesfalls ratsam. Theoretische Kenntnisse dürfen natürlich auch schon in jungen Jahren ihren Weg ins Training finden, sollten aber doch möglichst spielerisch und anschaulich vermittelt werden. Welche Technik und Methodik dabei von Nöten ist, hängt mit Sicherheit von euren Möglichkeiten ab, aber auch davon, wie eure Spieler die Anweisungen am besten aufnehmen.