Nicht einfach Hallenfußball… Futsal!
Es ist Samstag, der 11. April 2015. Zwei Mal holen die Hamburger einen Rückstand auf, gehen dann nach einem Doppelschlag innerhalb von nur zwei Minuten auf einmal sogar mit 3:2 in Führung. Auf der Gegenseite riskiert Schwerte alles und nimmt kurz vor Schluss den Torhüter für einen zusätzlichen Feldspieler runter. Mit Erfolg! In der vorletzten Minute gelingt dem Team doch tatsächlich noch der Ausgleich – 3:3 und Verlängerung. Zweimal fünf Minuten werden nachgespielt. Die erste Halbzeit der Verlängerung verläuft torlos. Geht’s bis ins Sechsmeterschießen? Von wegen! Direkt nach Anpfiff der letzten fünf Minuten machen die Hamburger binnen 180 Sekunden ganze drei Treffer, die Würfel sind gefallen. Am Ende steht es 7:4. Was für ein Spiel. Die Mannschaft aus dem hohen Norden stürmt den Platz der ENERVIE-Arena in Hagen, die mitgereisten Fans rasten auf den Tribünen aus. Was ist passiert? Die Hamburg Panthers holen mit diesem 7:4 im Endspiel gegen Holzpfosten Schwerte nach 2012 und 2013 ihre dritte Meisterschaft. Ihr habt keine Ahnung, wovon wir da reden? Es geht um Futsal!
Futsal ≠ Hallenfußball?!
Der Ausdruck mit den sechs Buchstaben leitet sich vom Portugiesischen „futebol de salão“ beziehungsweise vom Spanischen „fútbol sala“ ab und heißt übersetzt ganz einfach: Hallenfußball. Doch Futsal ist eben nicht einfach Hallenfußball. Denn Hallenfußball kann jeder. Wenn ich mich mit meinen Kumpels in der Halle für ein Spielchen treffe, dann spielen wir Hallenfußball. Der Begriff ist nicht mehr als ein Oberbegriff für sämtliche Formen von Fußballspiel in der Halle. Futsal geht da schon ein wenig weiter. Denn Futsal ist die vom Weltverband FIFA international offiziell anerkannte und geregelte Variante des Hallenfußballs.
Deutschland hinkt hinterher
Was die Hamburger in diesem Frühjahr holten, das war die vom DFB ausgetragene Deutsche Futsal-Meisterschaft. Erst seit der Saison 2015 wird eine offizielle deutsche Futsal-Meisterschaft überhaupt ausgetragen. Die Panthers waren schon 2012 und 2013 erfolgreich, holten da den DFB-Futsal-Cup. Den gab es bereits seit dem Jahr 2006, seit 2007 hatte sich daneben auch noch der DFB-C-Junioren-Futsal-Cup etabliert, mittlerweile gibt es auch ein Turnier für B-Jugendliche. Zuvor wurde Futsal hauptsächlich privat betrieben. Erste Popularität kam in den Jahren 2003 bis 2005 beim Futcon-Springtime-Cup auf. Deutschland hat also Futsal-technisch aufgeholt im letzten Jahrzehnt – wurde aber auch Zeit. Der Großteil der 54 Mitgliedsverbände der UEFA ist uns nämlich ein ganzes Stück voraus: Die meisten haben zumindest eine landesweite Liga und natürlich Nationalmannschaften. In Deutschland sind Vereine vor allem in vielen kleinen Landesligen vertreten, die jeweiligen Verbandsmeister spielten in den letzten Jahren dann immer den Cup-Sieger aus.
Mit der Saison 2015 und einer ganz offiziellen Futsal-Meisterschaft soll alles anders werden. Besser. Auch die Nationalmannschaft! Beziehungsweise soll überhaupt erstmal eine Nationalmannschaft eingeführt werden. Auswahlmannschaften unter dem Namen „DFB All-Stars“ gab es beim Cup in den letzten Jahren zwar schon häufiger, die waren jedoch weder offiziell noch so richtig erfolgreich. Im Jahre 2016 soll angeblich eine Nationalmannschaft zustande kommen, erste Sichtungslehrgänge durch den DFB hat es tatsächlich bereits gegeben.
Brasilien und Spanien Rekordmeister, Kasachstan erfolgreicher als Deutschland
Auch wenn der Weg der richtige zu sein scheint, Ihr merkt: Im Fußball sind wir zwar Weltmeister, im Futsal gelten wir international nahezu als nicht-existent, höchstens als Entwicklungsland. Die Meister des Futsals sind Spanien und Brasilien. Kein anderes Team als diese beiden konnte bisher je eine Futsal-Weltmeisterschaft für sich entscheiden. Gerade in Südamerika erfreut sich der Sport äußerster Beliebtheit. Kein Wunder. Denn dort befindet sich auch seine Geburtsstätte. Ein Sportlehrer aus Uruguay soll bereits 1930 Futsal für Kinder unterschiedlichen Alters entwickelt haben. Im Schulsport Südamerikas war Futsal kurz darauf hochgradig anerkannt.
Richtig offiziell ist Futsal seit 1989, als die FIFA die Spielform als zusätzlichen Wettbewerb aufnahm und so auch zur Vereinheitlichung und Internationalisierung beitrug. Neben der Welt- und Europameisterschaft auf nationaler Ebene gibt es auf Vereins-Ebene nun schon seit der Jahrtausendwende den UEFA-Futsal-Pokal. Auch den gewannen zum größten Teil spanische Teams (7 Titel), doch auch andere Vereine aus Südeuropa (Portugal, Italien) sowie Osteuropa (Russland, Kasachstan) haben in der Zwischenzeit ihr Niveau erheblich nach oben geschraubt und konnten den europäischen Titel bereits holen.
Bei Manchester auf dem Abstellgleis, im Futsal eine Legende
Kennt Ihr den besten Futsal-Spieler aller Zeiten? Es ist der Brasilianer Alessandro Rosa Vieira, besser bekannt als Falcao. Der Namensvetter des kolumbianischen Fußballstars bei Manchester United schoss bis zum heutigen Tage stolze 1221 Tore in 851 Spielen für Verein und Nationalmannschaft. Bis ich hier mit meinem Artikel fertig bin, sind es wahrscheinlich wieder drei mehr. Zwei Mal wurde er auch von der FIFA offiziell zum weltbesten Futsal-Spieler gekürt. Ein so talentierter Spieler, wieso hat der es nicht mit dem womöglich finanziell vielversprechenderen Fußball probiert?, könnte manch einer nun denken. Gute Frage, das hat er nämlich. Nach einem Gastspiel beim FC São Paulo, das ihm in einem halben Jahr nur sechs Einsätze einbrachte, kehrte der Futsal-Superstar jedoch wieder zu seinen Wurzeln zurück. Falcao ist bis heute ein begnadeter Futsal-Spieler, der seine Leidenschaft wohl einfach bereits gefunden hat. Andere bestritten den Weg vom Futsal in den konventionellen Fußball hingegen mit deutlich mehr Erfolg.
Ratet mal, wer früher alles Futsal gespielt hat!
Die Spieler, die aus dem Futsal kommen und eine Fußballerkarriere einschlagen, sind nicht einfach irgendwelche Spieler. Die Namen könnt Ihr Euch auf der Zunge zergehen lassen. Der große Pelé selbst begann in Brasilien zunächst mit der Hallen-Spielform, über die er selbst sagte: „Beim Futsal muss man schnell denken und spielen können. Das macht es später leichter, wenn man zum Fußball wechselt“. Auch Real-Legende und Blatter-Konkurrent Luis Figo klebte der Ball in Portugal zunächst beim Futsal an den Füßen. Stürmerstar Ronaldo begann seine Karriere im Futsal. Ronaldinho lernte das Zaubern ebenfalls in der Halle. Zinedine Zidane musste seine Übersicht auf engstem Raum zunächst beim Futsal beweisen. „La Pulga“ Lionel Messi übte seine ersten Tricks beim Futsal in der Halle. Auch sein Teamkollege Neymar trat zunächst im Futsal gegen den Ball. Andres Iniesta und Xavi aus dem Barca-Mittelfeld zogen ihre Kurzpass-Stafetten ebenso einmal im Futsal auf. Cristiano Ronaldo überzeugte mit seiner Schussgewalt einst beim Futsal. Der Gladbacher Raffael war in seiner Vergangenheit im Futsal aktiv. Und Max Meyer ist der erste deutsche Fußballspieler, der den Sprung vom Futsal in die Bundesliga geschafft hat.
Einige der besten Spieler aller Zeiten spielten also irgendwann einmal Futsal. So verkehrt scheint das Ganze also nicht zu sein. Was besonders auffällt: Die Spieler mit Futsal-Vergangenheit verfügten und verfügen alle ausnahmslos über ganz besondere Fähigkeiten in puncto Ballbehandlung und Technik. Manche behaupten gar das berühmte Tiki-Taka entstamme dem Futsal. Woher das kommen mag? Schauen wir uns doch einfach mal die Futsal-Regeln an.
Technik satt, Ball platt
Im Gegensatz zum Hallen-Freizeitkick mit meinen Kumpels ist das Spielfeld im Futsal durch Linien statt durch Banden begrenzt. Das berühmt berüchtigte Banden-Gebolze findet beim professionellen Futsal also keine Anwendung. Das Spielfeld entspricht demnach quasi einem Handballfeld – und die Tore auch. Auf zwei Handballtore spielen Teams mit jeweils fünf Spielern. Die Spieler dürfen dabei unbegrenzt und jederzeit fliegend gewechselt werden. Gespielt wird zwei Mal 20 Minuten – mit einem im Vergleich zum Fußball etwas abgewandeltem Ball. Der ist nämlich kleiner (62-64 cm statt 68-70 cm), hat weniger Druck (0,6-0,9 bar statt 0,6-1,1 bar), ist aber vom Gewicht her dennoch insgesamt schwerer. Dadurch fliegt der Ball sprungreduziert durch die Reihen: Er muss bei einem Fall aus zwei Meter Höhe irgendwo zwischen 50cm und 65cm wieder aufspringen. Das Spiel ist damit technisch deutlich anspruchsvoller.
Auch die Foulspiel-Regelung ist ein wenig auf den Kopf gestellt. Grätschen sind im Futsal absolut verpönt. Man sieht sie aber auch nicht allzu häufig – aus dem einfachen Grund: Das Grätschen am Mann gilt grundsätzlich als Foul. Und jedes Foul kann dem Team zum Verhängnis werden. Ein Foul zieht einen direkten Freistoß nach sich, für jedes fünfte Mannschaftsfoul pro Halbzeit (ähnlich dem Basketball) gibt’s einen direkten Freistoß aus zehn Metern ohne Mauer. Bei jedem ruhenden Ball hat die ausführende Mannschaft dann nur vier Sekunden Zeit für den Standard. Andernfalls geht der Ball an den Gegner. All diese Regelungen unterstützen den Spielfluss, die Schnelligkeit des Spiels, überhaupt den Verzicht auf Fouls und den stetigen Versuch der spielerischen Lösung.
Und auch der Torhüter hat es besonders schwer: Er darf sich zwar wie gewohnt überall auf dem Feld bewegen, in der eigenen Hälfte darf der Keeper die Kugel aber nur ein Mal berühren und hat dabei höchstens vier Sekunden Zeit, das Leder zu kontrollieren. Auch er muss also technisch versiert sein. Seine Vordermänner tun demnach ihr Bestes daran, ihn nicht allzu sehr in die Bredouille zu bringen, sondern die Situation selbst spielerisch zu lösen. Die Regeln tragen in besonderem Maße dazu bei, dass beim Futsal an ganz speziellen Fertigkeiten gefeilt wird: der Übersicht auf engstem Raum, der Koordination, der Spielintelligenz, der Technik – alles Fähigkeiten, die unsere ganz großen Fußballer mit Futsal-Vergangenheit auszeichnen. Wer also Fußball-Star von morgen werden will, sollte sich erstmal in der Halle ausprobieren.
Ein Sport für Fußball-Ästheten
Und man scheint die Futsal-Techniken auch gut gebrauchen zu können. Für TSV-Neuried-Geschäftsführer Christopher Utz hilft die Entwicklung der technischen Fähigkeiten den Spielern heutzutage noch viel mehr als früher: „Moderne Trainer wollen keine Grätschen, sondern spielerische Lösungen; Barcelonas Xavi wäre für mich der optimale Futsaler.“ Ursprünglich waren sie beim TSV keine großartigen Hallenfußball-Fans. Doch vielleicht gerade wegen dieser anfänglichen Skepsis kam man bei dem Club nahe Münchens letztlich auf die Idee eines Futsal-Vereins: „Wegen der hohen Verletzungsgefahr durch die Banden und das häufige Grätschen steht unser Verein dem gewöhnlichen Hallenfußball sehr kritisch gegenüber,“ erklärt Utz. Diese Skepsis ist durch die Futsal-Regelungen quasi vollständig ausgemerzt. Gegenüber dem klassischen Hallenfußball kann man im Futsal also die Ästhetisierung des Hallensports sehen. Zweikämpfe werden dabei entgegen einer einhelligen Meinung wie im Fußball immer noch häufig und konsequent geführt, nur die Anzahl der Foulspiele erweist sich tatsächlich als deutlich geringer.
DFB, übernehmen Sie!
Auf Initiative der jeweiligen Vereine und des Bayerischen Fußball Verbandes trat der TSV Neuried seit vergangenem Oktober in der neu geschaffenen Bayernliga gegen Mannschaften aus Bayreuth, Nürnberg, Schwandorf und Regensburg an. Auch wenn sich etwas im Futsal zu bewegen scheint, zeigt sich Geschäftsführer Utz noch nicht ganz zufrieden: „Wir erwarten aber auch, dass von den Verbänden etwas zurückkommt.“. Damit noch etwas mehr kommt, muss wohl ein noch eindeutigeres Konzept des Deutschen Fußball-Bundes her.
Das Finale der diesjährigen Meisterschaft begeisterte die Massen. Mit 1.922 Zuschauern strömten für Futsal-Verhältnisse geradezu Mengen von Zuschauern ins Stadion nach Hagen. Die Stimmung auf den Rängen passte sich dem Spielgeschehen an und explodierte förmlich. Kurzum: Das war beste Werbung für den Futsal-Sport in Deutschland. Bernd Barutta, DFB-Abteilungsleiter für den Bereich Futsal, versprach von der Stimmung elektrisiert eine verheißungsvolle Zukunft: „Dieses Finale hat Maßstäbe gesetzt – die Spannung, die Stimmung, die spielerische Qualität. Der Futsal in Deutschland ist auf dem richtigen Weg. Diese Entwicklung werden wir nun fortsetzen.“
Was auf diesem Weg in Deutschland definitiv fehlt, ist eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des Spielbetriebs sowie eine konkurrenzfähige Nationalmannschaft. Verdient hätte es sich diese Sportart ohne Frage. Das Spiel lebt von einer tollen Technik, liefert packende Begegnungen, begeistert die Zuschauer und hat uns in gewisser Weise Ronaldo, Messi und Co. beschert. Ob es so weit kommt? Die Zukunft wird es zeigen. Ich wünsche Dir viel Glück, lieber Futsal!