Das Spinnennetz in unserem Körper: So lassen sich Faszien effektiv trainieren

Lange galten sie als unwichtiges „Verpackungsorgan“. Heute weiß man, dass Faszien eine enorm wichtige Rolle in unserem Körper spielen. Vor allem Sportler können von trainierten Faszien profitieren und ihren Körper zu neuen Höchstleistungen pushen. Hier erfährst Du mehr über Faszien und wie Du sie mit einfachen Übungen trainieren kannst…

Faszientraining mit der Blackroll

Doppelt hält besser: Während eine Blackroll unter den Unterschenkel gelegt wird, kann eine zweite unter dem Rücken platziert werden – so lassen sich die Faszien in den Waden trainieren.

Faszien – Teil der Lösung & Teil des Problems

Lange Zeit haben sie uns zur Weißglut getrieben oder schier verzweifeln lassen. Jetzt wissen wir: Faszien sind des Rätsels Lösung. Das Netzwerk aus Bindegewebe durchzieht den Körper wie ein Spinnennetz feinmaschig von Kopf bis Fuß, umhüllt Organe, Muskeln und Adern. „Zu den Faszien zählen wir heute Sehnen, Kapseln, Bänder, das lockere Bindegewebe direkt unter der Haut sowie das Bindegewebe innerhalb des Muskels“, erklärt Dr. Robert Schleip, Direktor der Fascia Research Group an der Universität Ulm. Eben diese Faszien sollen die Ursache sein für allerlei körperliche Gebrechen wie Rücken- und Gliederschmerzen, Beschwerden in Hüfte oder Knie, Krampfadern oder Gelenkrheuma.

20 bis 30 Minuten Training in der Woche reichen aus

Millionen Menschen in Deutschland dürfen also aufatmen, können sie ihren teilweise jahrelang anhaltenden Schmerzen endlich erfolgsversprechend den Kampf ansagen. 1x1SPORT stellt verschiedene Methoden vor. Schon zwei- oder dreimal wöchentlich gezieltes Training für jeweils zehn Minuten oder entsprechende Behandlungen – besonders mit weichen und dynamischen Dehnungen – wirken Wunder. Körpertherapeut Schleip nennt eine wichtige Voraussetzung: „Es ist immer wichtig, dass der Patient in eine Täterrolle schlüpft. Er muss selbst aktiv werden und darf nicht nur auf Behandlung bauen.“

Dr. Robert Schleip rät: „selbst aktiv werden!“

Vierstufiges Faszientraining für Zuhause mit Blackroll und Co.

Zusammen mit seinem Team der Fascial Fitness Association hat Schleip ein vierstufiges Faszientraining entworfen. Ziele des Programms: die Leistungsfähigkeit erhöhen, Verletzungen vorbeugen und mehr Spaß und Abwechslung vermitteln.

1. Fascial Release

Hinter dem Begriff Fascial Release verbirgt sich eine rasche Möglichkeit der Eigenbehandlung. Die Bindegewebsstrukturen werden – etwa mithilfe einer Blackroll – so unter Druck gesetzt, dass sie nachgeben und sich Verklebungen lösen. Mit dem besseren Körpergefühl geht auch eine größere Beweglichkeit sowie eine Schmerzverminderung einher. Die feste Schaumstoffrolle agiert als Behandler. Schnell werden schmerzhafte Stellen spürbar. Abhilfe schaffen langsame Wiederholungen der Bewegungen.

Beispielübung:

Zur Entlastung der Lendenwirbelsäule legen wir uns mit angestellten Beinen auf die Rolle und massieren den unteren Rücken durch langsames Vor- und Zurückrollen. Sportmediziner Dr. Lutz Graumann schwört auf das – nicht immer schwarze – Hilfsmittel: „Das Training mit der Blackroll macht den Körper geschmeidig. Wir lösen Verklebungen, bringen Flüssigkeit zurück in das unterversorgte Bindegewebe und regulieren den Druck im Gewebe.“

Empfiehlt das Training mit der Blackroll: Dr. Lutz Graumann

2. Rebound Elasticity

Die Übungen zum Thema Rebound Elasticity versprechen ein sehr effektives Krafttraining. Es fördert zugleich die Körperästhetik, der zeitliche Aufwand ist geringer als bei einem herkömmlichen Krafttraining. Dabei wird das Prinzip des „Elastic-Recoil“ angewendet. Zu Beginn einer Übung ist die vorbereitende Gegenbewegung extrem wichtig.

Beispielübung:

Beim „Fliegenden Schwert“ führen wir die Arme nach hinten, initiieren diese Bewegung mit dem Brustbein. Mit leichter Verzögerung bewegen wir die Arme und den Oberkörper schwungvoll nach vorne und unten. Es empfiehlt sich, mit wenig Gewicht zu arbeiten. Bei der Übung sollte die Lendenwirbelsäule stabil sein.

Auf den Spuren von Flamingo und Kobra

3. Soft-Tissue Stretching

Beim Soft-Tissue Stretching geht es um ein spielerisches, kreatives Ganzkörperfaszien- und -muskelstretching. Gefragt sind also Übungen, die das gesamte Faszien-Muskel-System optimal anregen. Die Faszien sollen über wippende und endgradig dreidimensionale Bewegungen in alle Richtungen gezogen und gedehnt werden.

Beispielübung:

Beim „Flamingo Stretch“ legen wir ein Bein ausgestreckt auf die Sitzfläche eines Stuhls, vor dem wir aufrecht stehen. Auch die Arme werden gestreckt. Diese Position sollten wir etwa eine Minute halten, wobei die Faszien schmelzend gedehnt werden – dabei auch kleine Richtungswechsel einbauen.

4. Fluid Refinement

Der vierte Aspekt trägt die Bezeichnung Fluid Refinement. Das Ziel: Nach dem Motto „Von außen nach innen“ bis in die Tiefenmuskulatur eindringen. Es geht dabei nicht um ein rein mechanisches Bewegungsprogramm. Vielmehr sollen diese Übungen vielfältige Impulse setzen, um als Sinnlichkeitstraining die Rezeptoren der Faszien zu Höchstleistungen zu treiben.

Beispielübung:

Beim „Kobra Spine“ stehen wir in einem stabilen Stand, die Beine sind hüftweit auseinander mit Betonung auf den Außenseiten der Füße. Dann beugen wir den Oberkörper aus den Hüftgelenken halbhoch nach vorne und ziehen den Unterbauch nahe an die Lendenwirbelkette heran. Die Spannung muss während der gesamten Übung gehalten werden. Wir stützen die Hände auf die Oberschenkel, öffnen das Brustbein nach vorne und ziehen die Schulterblätterspitzen tief Richtung Gesäß. Anschließend wird die Wirbelkette lang gezogen, die Sitzbeine werden nach hinten hinausgeschoben. Nun folgen wellenförmige Bewegungen entlang der Brustwirbelkette: fließende Vor- und Rückwärtsbewegungen zwischen den Schulterblättern, seitliche Pendelbewegungen, Achterschleifen, bis hin zu Mikrobewegungen zwischen einzelne Rippen.

Das Faszien-Trainingsprogramm lässt sich individuell zusammenstellen. Wir wählen nur wenige Übungen aus, die zusammen alle vier Prinzipien berücksichtigen. Das Training sollte sich leicht in den Tagesablauf integrieren lassen, Ablenkungen wie etwa ein laufender Fernseher sind zu vermeiden. Ganz wichtig: Der Bewegungsablauf muss sich geschmeidig anfühlen.

Spaghetti im Körper und 200 Prozent Größengewinn beim Strecken

Dehnen kann schmerzhaft sein, bewirkt aber oftmals Wunder.

Dank des großen Interesses an Faszien und deren Wirkung auf unser Wohlbefinden erfreuen sich besonders alternative Heilmethoden wie Yoga, Akupunktur oder Massagen großer Beliebtheit. Denn: Das kollagenhaltige Bindegewebe zeigt sich sehr empfänglich für mechanische Reize.

Die Dehnung der Glieder beim Yoga wirkt sich auf die unterschiedlichsten Körperteile aus. Stretching-Übungen bekämpfen etwa Rückenschmerzen. Bei der indischen Lehre geistiger und körperlicher Übungen rufen lange und sanfte Dehnungen eine Neuausrichtung der Kollagenfasern direkt unter der Haut hervor. Dadurch vergrößern sich die sogenannten Fibroblasten, die den Kreislauf im Fasziennetzwerk in Schwung halten, auf dramatische Weise: Die US-amerikanische Neurologie-Professorin Helene Langevin stellt laut dem Wissensmagazin „Geo“ bei Streckbewegungen einen Größengewinn von 200 Prozent fest. So werden Botenstoffe freigesetzt, die Schmerz und Entzündungen im Bindegewebe lindern.

Der Wirkort der Akupunkturnadel liegt direkt in den Faszien, wo Zellen und Fasern auf den mechanischen Reiz reagieren. Ziel vieler Therapeuten sind sogenannte „Triggerpunkte“ – übererregbare und verhärtete Stellen aus Bindegewebe und Muskeln. Weil die schmerzempfindlichen Punkte auch eine Wirkung auf andere Körperstellen haben, werden die Nadeln bei der chinesischen Heilmethode immer häufiger zusätzlich weit entfernt von der Schmerzquelle angesetzt. Geben erfahrene Therapeuten der in die Haut gestochenen Nadel einen sanften Drall, winden sich die Kollagenfasern um diese – vergleichbar mit Spaghetti, die um eine Gabel gewirbelt werden. Dies gleicht einem „Mikro-Stretching“. Als Antwort auf den Stich- und Drehreiz dehnt sich das Gewebe von innen her aus.

Druckmassagen können versteifte Faszien lockern und Verhärtungen im Gewebe lösen. Obwohl viele Massagemethoden mit schmerzhaften Techniken arbeiten, werden die Behandlungen als wohltuend empfunden. Der Druck und die Ziehbewegungen auf der Haut führen zu einer Dehnung der Mikrostrukturen. Folglich wird altes Kollagen abgebaut und neues gebildet. Mittlerweile greifen Physiotherapeuten häufig zu Hilfswerkzeugen wie Metallsicheln, um gestörte Faszienschichten zu lösen. Erfreulich: Auch sanfte Massagen wirken sich auf das Bindegewebe aus, denn schon zarte Signale werden von den Rezeptoren in den Oberflächenfaszien weitergeleitet und sorgen für eine leichte Gewebeentspannung.

Viel Bewegung und gesunde Ernährung – die Faszien werden es danken

Auch Pilates-Übungen bieten sich zum Training der Faszien an. Diese Trainingsform soll vor allem die Muskulatur in Beckenboden-, Bauch- und Rückenbereich stärken.

Beispielübung:

Beim „Spine Stretch“ strecken wir die Beine in sitzender Position auf einer Matte oder dem Boden aus und öffnen sie schulterbreit. Die Fußspitzen zeigen zur Decke, die Hände liegen locker auf den Oberschenkeln. Durch das Strecken des Kopfes nach oben wird auch die Wirbelsäule gestreckt. Anschließend rollen wir den Oberkörper langsam nach vorne, wodurch der Rücken rund wird. Die Hände schieben wir langsam in Richtung der Füße. Während der Bewegung muss der Po auf dem Boden und das Gewicht gleichmäßig dort gelagert sein. Nachdem wir diese Position etwa zehn Sekunden gehalten haben, wird die Wirbelsäule wieder aufgerichtet, bis wir uns in der Ausgangsposition befinden. Diese Dehnung sollte drei- bis fünfmal wiederholt werden.

Schleip sieht den Hauptgrund für verklebte Faszien in unserer Bewegungsarmut: „Die meisten Menschen bewegen sich allgemein zu wenig und auch zu einseitig. Wir sitzen zu viel herum.“ Aber auch zu viel Sport, Stress oder falsche Ernährung würden sich negativ auf die Faszien auswirken. Anzeichen für Probleme rund um das Bindegewebe seien Schwellungen oder häufige Bänderrisse beim Sport. Ganz anders sieht das beim sogenannten Muskelkater aus. „Mittlerweile geht man auch davon aus, dass der klassische Muskelkater eigentlich ein Faszienkater ist. Denn die Schmerzquelle kommt hier offensichtlich weniger aus dem roten Muskelfleisch selber, sondern aus der weißlichen faszialen Muskelhülle“, erklärt Schleip. In diesem Fall haben wir unserem Körper eine „deutlich anfordernde, momentan überfordernde Stimulation“ zugemutet, aus der wir jedoch nach drei oder vier Tagen im Idealfall gestärkt hervorgehen.

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