Auslaufen nach dem Training: Sinn oder Unsinn?

„Da sich die Thesen zu diesem Thema ständig ändern, fördern wir eher ein Bewusstsein für die Möglichkeiten“ – so hat Wurfdoktor Ralph Junge neue Wege gefunden, um mit einem schwierigen Thema umzugehen. Das Thema, um das es sich in diesem Fall ganz im Allgemeinen handelt, ist Regeneration. Wenn es um die ‚richtige‘ Regeneration geht, scheiden sich die Geister bis heute. Ein Streitthema ist dabei das berühmt berüchtigte Konzept des Auslaufens. Von den einen als „extrem wichtig“ eingestuft, stempeln andere das ewige Ritual gar als „Aktionismus“ ab. Wir wagen uns an das Streitobjekt ran und diskutieren mit um Sinn und Unsinn des Auslaufens nach dem Training.

Auslaufen im Mannschaftsverbund – Ein bekanntes Bild auf den Fußballplätzen! Doch bringt’s das wirklich?

Regeneration: aktiv vs. passiv

Jugend-Trainer Marc Unterberger von der SpVgg Unterhaching vertritt seine Meinung ganz klar: „Nach jedem Spiel wird bei uns ausgelaufen“. Am Spieltag wird Auslaufen bei vielen Mannschaften auch heute noch als aktive Regenerationsmaßnahme betrieben. Aktive Regenerationsmaßnahmen sind nach Sportbiologe und -wissenschaftler Dr. Wolfgang Friedrich solche, bei denen der Sportler selbst etwas tun muss. Meist handelt es sich dabei um leichte, dynamische Bewegungen mit niedriger Intensität und geringem Umfang zur Nachbereitung von intensiven Belastungen. Passive Regenerationsmaßnahmen im Gegensatz dazu wären beispielsweise Entmüdungsbäder, Kälteanwendungen, Massagen, Saunagänge oder Medikamente.

Warum die Regeneration für den Sportler von solch enormer Bedeutung ist, erklärt Marc so: „Ich bin der Meinung, dass jemand, der sein Team richtig regenerieren lässt, effektiv trainiert, denn nur so können hohe Lernerfolge erzielt werden. Trainer sollten sich die körperlichen und geistigen Phasen zu Nutzen machen, in der die Maximalleistung abgerufen werden kann.“

Laktat… da gibt’s doch diese Tests

Effektives Training bedeutet Zeit sparen. Das wichtigste Ziel einer aktiven Regeneration ist letztlich schlichtweg, die Regenerationsdauer zu senken, um den Körper so schneller bei der Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit zu unterstützen. Doch wer sagt, wie die ‚richtige‘ Regeneration aussieht?

Verfechter des Auslaufens schwören auf den versprochenen Abbau von Laktat durch die Regenerationsmaßnahme. Was der Laie nur von der Saisonvorbereitung seines Lieblingsklubs kennt, verrät so einiges über unsere Leistungsfähigkeit. Laktat entsteht als Nebenprodukt der Energiegewinnung, wie das Institut für Sportdiagnostik erklärt: „Wenn während einer intensiven Ausdauerbelastung der über die Atmung aufgenommene Sauerstoff nicht ganz ausreicht, um den im Muskel benötigten Energiebedarf zur Muskelkontraktion zu decken, entsteht das saure Stoffwechselprodukt Laktat“. Dieses saure Produkt scheidet unser Körper zwar auf ganz natürliche Weise wieder aus, natürlich kann es den meisten aber gar nicht schnell genug gehen. Denn eine schnellere Regeneration lässt uns schließlich schneller wieder zu unserer Maximalleistung kommen, wie wir gehört haben. Mediziner und Sportwissenschaftler Jürgen Weineck schreibt gerade dem Auslaufen in seinem Buch „Optimales Training“ jetzt das Ziel zu, „die regenerativen Stoffwechselvorgänge in Gang zu bringen und bei noch leicht erhöhter Temperatur die sauren Stoffwechselprodukte aus der Arbeitsmuskulatur zu eliminieren und zu entsorgen (z.B. über das Herz und die Leber)“. Bei den rhythmischen Ganzkörperübungen von geringer Intensität durch das Auslaufen soll es zu einem regelrechten Spüleffekt kommen und eine praktisch laktatfreie Muskeldurchblutung führt im Idealfall zur Ausschwemmung der Abbauprodukte des Stoffwechsels aus den belasteten Regionen.

Neben dem Abbau von Laktat befürworten die Verfechter des Auslaufens die erhöhte Durchblutung der Muskulatur nach einem intensiven Training sowie die Entspannung der vorher intensiv trainierten Muskeln. Behauptungen zufolge führen diese Effekte zu einer Verkürzung der Regenerationszeit um ganze 50 Prozent. Auslauf-Fan Marc von der Unterhachinger Jugend plant demnach gar seine Woche danach, wie sein Team am besten regenerieren kann: „Je nachdem, ob wir am Wochenende ein oder zwei Spiele hatten, gestalten wir die Trainingswoche. Bei einer Doppelbelastung gebe ich am Montag meistens frei. Spielen wir am Samstag, steht der Sonntag zur Regeneration zur Verfügung und Montag wird normal trainiert. Bei einem Spiel am Sonntag nutzen wir den Montag zur aktiven Regeneration, wir trainieren also niedrig intensiv und halten die Belastung für den Kopf gering“.

Auch für die Ausdauer spielt die richtige Regeneration eine Rolle.

Da bleibt man die komplette Halbzeit mit cool!

Darüber hinaus preisen die Auslauf-Fans einen graduellen Cool-Down-Effekt an. Die Herzfrequenz wird allmählich herunter gefahren, die Körpertemperatur langsam gesenkt. Außerdem sollen auch die Hormone nach unten reguliert und der Sympathikotonus zu einer para-sympathikotonen Reaktionslage gedämpft werden. Das alles zielt darauf ab, die Tätigkeit des Herz-Kreislauf-Systems gezielt zu steuern und somit für eine schnellere Beruhigung im Organismus sorgen.

Doch diesen Cool-Down Effekt gibt es nicht nur auf physischer Ebene. Denn trotz all dieser versprochenen Effekte sieht Tennistrainer Kristijan Mikulec den entscheidenden Faktor der Regeneration nicht im Körper selbst, sondern an einer anderen Stelle: „Tendenziell gilt: Ist ein Spieler top-austrainiert, benötigt dieser keine körperliche, aber dafür insbesondere die geistige Regeneration. Bei der geistigen Regeneration gibt es keinen Standard, den es für alle Spieler anzuwenden gilt. In diesem Fall muss man mit seinen Spielern vertraut sein und die Regeneration dementsprechend individuell gestalten.“

Manuel Baum nutzt das Auslaufen vor allem zum Kommunizieren.

Jugendtrainer Andreas Haidl aus dem Nachwuchsleistungszentrum der SpVgg Unterhaching betreut seine U15 seit etlichen Jahren und setzt bei seinem Team auf den psychologischen Effekt des Auslaufens: „Nach einem sehr emotionalen Spiel ist es immer ganz gut, wenn man einfach sagt ‚Okay, jetzt gehen wir mal zehn Minuten auslaufen‘, damit die Emotionen wieder ein bisschen runterkommen. Und auch Manuel Baum geht es um ein Cool-Down im Kopf seiner Spieler: „Für mich ist das Auslaufen extrem wichtig, weil es die Möglichkeit bietet, mit der Mannschaft über das Spiel zu reden und das eine oder andere aufzuarbeiten. Genauso nach dem Training“.

Auch Auslaufen will gelernt sein

Beim Auslaufen überführt man den eigenen Organismus in den Ruhezustand. Das geschieht, indem man zum Ende des Trainings die Intensität der läuferischen Bewegung kontinuierlich senkt. Die Herzfrequenz sollte dabei von Belastungen über 90 Prozent zu circa 70 Prozent der maximalen Herzfrequenz überführt werden, was etwa 100 bis 120 Schlägen pro Minute entspricht. Georg Neumann, Arndt Pfützner und Anneliese Berbalk empfehlen in ihrem Buch „Optimales Ausdauertraining“ eine zeitliche Begrenzung der Regenerationsbelastung nach einem Wettkampf auf 20 bis 30 Minuten. Für Hobbysportler werden in der Regel zehn bis 15 Minuten empfohlen. Nur so besteht überhaupt eine Möglichkeit der Regeneration, denn bei Überbelastung findet logischerweise weiterhin ein Energieverbrauch aus den entleerten Speichern statt. Die Autoren geben außerdem zu bedenken, dass nach intensiven Einheiten zuvor das Geschwindigkeitsgefühl irritiert ist und daher regenerativ oft zu hoch nachbelastet wird.

Darüber hinaus gibt es noch andere Faktoren, die Tempo und Dauer des Auslaufens beeinflussen, dazu zählen: die Intensität und Dauer des vorhergegangenen Trainings (bei höheren Intensitäten mit vielen anaeroben Phasen erhöht sich die Zeit dementsprechend), der persönliche Fitnesszustand (je besser der eigene Zustand, desto intensiver und länger kann ausgelaufen werden), das Alter (je älter, desto vorsichtiger sollte man sein) und das Klima (extreme Kälte, Nässe oder Hitze verkürzen die aufzuwendende Zeit). Das Auslaufen kann nur mit den eigenen Beinen, mit Ball und/oder Spielgerät oder im Kinder- und Jugendbereich auch spielerisch erfolgen.

Doch kein Wundermittel?

Nicht jeder ist so ein Auslauf-Fan wie Marc oder Manuel…

Nicht jeder sieht aktive Regenerationsmaßnahmen nach Spiel und Training als das geheiligte Mittel an. So steht der Trainer und Direktor der Real Madrid Foundation Clinics, Stefan Kohfahl, seinen Fußballer-Kollegen ein wenig skeptisch gegenüber und fordert, die Waage zu halten: „Dieses fünfminütige Auslaufen nach dem Spiel halte ich für fragwürdig und für Aktionismus. Wenn aber eine besondere Anstrengung vorliegt, das Blut sozusagen versackt ist und wieder dem Herzen zugeführt werden muss, dann sind direkt anschließende regenerative Maßnahmen sinnvoll beziehungsweise vorteilhaft. Ein 400-Meter-Sprinter sollte zum Beispiel nicht direkt nach der Belastung nichts mehr machen“.

Für Stefans Skepsis spricht, dass durch ein aktives Auslaufen noch keine tatsächliche langfristige Wirkung auf den Regenerationsverlauf nachgewiesen werden konnte. Leistungsdiagnostiker Oliver Faude und DFB-Sportmediziner Tim Meyer fanden heraus, dass die Glycogenresynthese, also das Auffüllen der durch das Training entleerten Speicher, unter Umständen durch das aktive Auslaufen gar gestört werden kann.

Und auch die Verfechter des Auslaufens machen mal Ausnahmen. Andreas von der Spielvereinigung verzichtet zum Beispiel in den kalten Wintermonaten hin und wieder auf die direkte aktive Regeneration: „Ich finde, man darf da keine so festgefahrenen Strukturen haben. Wenn’s jetzt zum Beispiel minus zehn Grad hat, dann sparen wir uns das Auslaufen. Dann sollen sie lieber am Tag danach auslaufen“. Gerade im Winter kann das unter Umständen allerdings gefährlich sein. Da unsere Muskulatur im Winter besonders schnell wieder abkühlt, können eventuelle Kontraktionsrückstände womöglich Muskelverspannungen oder gar schlimmere Verletzungen hervorrufen. Die Spieler sollten also nicht unbedingt auf dem absoluten Höhepunkt der Belastung in die Katakomben verschwinden.

„Da ist jeder selbst für zuständig!“

Doch für die Jugendspieler schließt sich auch Reha- und Athletiktrainer Georg „Schorsch“ Wallner seinem Trainerkollegen insgesamt an: „In jungen Altersklassen finde ich es sinnvoll, nach dem Spiel gemeinsam lockeres Auslaufen oder auch Ausgehen und Mobilitätsübungen durchzuführen“.

Und dennoch ruft Andreas einen neuen Trend in der Unterhachinger Regenerationspolitik aus: „Eigentlich ist die Eigenmotivation wieder im Vordergrund. Da ist jeder Spieler einfach selbst dafür zuständig – wie weit er’s braucht und ob er’s überhaupt braucht“, appelliert der U15-Trainer an die Verantwortung der einzelnen Spieler. Bei den Kleineren, die noch nicht so häufig und meist auch noch nicht so intensiv trainieren, darf daher auch gerne mal hinterfragt werden, ob aktive Regenerationsmaßnahmen schon eine derart ernstgenommene Rolle spielen sollten.

Regeneration ist nicht nur Auslaufen

Fußballtrainer, Manager und Dozent Ernst Holzmann ruft daher einen späteren Zeitpunkt als Andreas von der U15 aus: „Regeneration ist generell für jede Leistungsklasse sinnvoll, meiner Meinung nach aber erst ab circa 16 Jahren“. Außerdem erwähnt Ernst neben dem Auslaufen, das auch er befürwortet, noch eine andere wichtige Regenerationsquelle: „Zu einer vernünftigen Regeneration gehören sowohl das Auslaufen, als auch eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme – natürlich kein Alkohol – und Kalorien- beziehungsweise Energie-Aufnahme. Ich plädiere für getrenntes Auslaufen und getrenntes Auffüllen der Flüssigkeits- und Nahrungsspeicher, weil jeder Spieler anders ist“. Auch Basketballer Ralph Junge pflichtet dem bei: „Wichtig ist für mich eher der Punkt der Ernährung direkt nach dem Spiel.“ Dazu zählt Schorsch Wallner vor allem ausreichendes Trinken: „In unteren Leistungsklassen sollte in den ersten 60 Minuten nach der Belastung der Fokus mehr auf die richtige Flüssigkeitszufuhr gelegt werden“.

Ausradeln statt Auslaufen?

Die Erkenntnis, dass jeder Spieler andere Bedürfnisse hat, hält mittlerweile auch Einzug in die Vereine. So reagiert beispielsweise auch Manuel Baum, mittlerweile DFB U-20 Nationaltrainer, auf diese Entwicklung bei den Junioren vom FC Augsburg: „Es geht immer mehr in die Richtung, das Ganze zu individualisieren. Also gehen wir auf jeden einzelnen Spieler ein“. Für jeden Spieler das passende Regenerationswerkzeug zu finden, ist überhaupt kein Hexenwerk wie uns Schorsch Wallner verrät: „Wichtig ist, dass wir dem Spieler ausreichend Möglichkeiten für eine optimale Regeneration bieten, das heißt Radergometer, Blackroll, Kältetonnen, Elektrolyt- beziehungsweise Proteingetränke, Massagen“. Warum gerade der Radergometer eine spannende Alternative zum Auslaufen darstellen kann, fußt sich auf den Erkenntnissen der Trainingswissenschaft-Professoren Kuno Hottenrott und Georg Neumann. Denn die plädieren nach einem Wettkampf oder intensivem Training stets für sportartunspezifische Belastungen im aeroben Bereich. Unterstützung erhalten die beiden von Oliver Schmidtlein, Physhiotherapeut des DFB während des Sommermärchens 2006. Der empfahl den Fußballern statt dem Auslaufen, bei dem viele Profis erfahrungsgemäß meist eher in Schrittgeschwindigkeit ausgehen, das Ausradeln auf den von Schorsch angesprochenen Radergometern. Bei einer niedrigen Intensität (80-110 Watt für circa 15 Minuten) sollen die Kicker nach einem standardisierten Ablauf, der durch eine bestimmte Watt-Zahl festgelegt ist, vor sich hin radeln.

Und auch die Blackroll sieht man mittlerweile auf vielen Trainingsplätzen der Profis. Sie zielt vor allem auf die Behandlung der Faszien ab. „Für Sportler und Athleten ist eine Faszienbehandlung nützlich, weil man durch optimale Faszieneigenschaften beweglicher ist, Verletzungen und Muskelkater vorbeugen und die Regeneration nach einem Training oder Spiel beschleunigen kann“, fasst Faszien-Guru Dr. Robert Schleip das Wirken der unscheinbaren Rolle zusammen.

Möglichkeiten aufzeigen

Auch wenn oder gerade weil so viele verschiedene Experten aus verschiedenen Bereichen des Sports unterschiedliche Trainingsformen empfehlen, gilt es gerade im Nachwuchsbereich seinen Schützlingen die breite Palette ihrer Möglichkeiten zu eröffnen. „Kinder und Jugendlichen sollten viele Regenerationsmöglichkeiten gezeigt werden. In diesem Altersstadium wird noch ausgebildet und geschult, deswegen steht nicht die Regeneration im Vordergrund, sondern die Ausführungsmöglichkeiten“, appelliert Kristijan Mikulec an alle Trainerkollegen. Auch wenn gemeinsame Formen der aktiven Regeneration eine gute Sache sein mögen, so ist am Ende der einzelne Spieler auch immer noch selbst für sich verantwortlich: „Zwingen kann man Spieler nicht dazu, man kann nur appellieren und überzeugen“, rät Ernst Holzmann den Trainern dieser Welt.

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